Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016

Die Originalversion des Schachspiels, nämlich Shatranj, das Schach der Kalifen, kommt zurück anlässlich eines Revival-Turniers am Sonnabend, 22. Oktober 2016, in Hamburg, Germany. Anlass sind die „Arabischen Kulturwochen 2016“, die bis Mitte Dezember 2016 in Hamburg und Bremen stattfinden.

Shatranj-Brett und Figuren by René Gralla
Shatranj-Brett und Figuren by René Gralla

Das historische Turnier, das realisiert wird mit freundlicher Unterstützung des Tunesischen Konsulats in Hamburg sowie der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft, wird eingebettet in einen „Tunesischen Tag“, der zum breit gefächerten Programm der „Arabischen Kulturwochen 2016“ gehört. Der Ort des Turniers im Asien-Afrika-Institut liegt verkehrsgünstig in der Nähe der S-Bahn-Station Hamburg-Dammtor (wo auch Fernzüge halten).

Warum kann man dieses Turnier ohne Übertreibung „historisch“ nennen?

Shatranj, das ehrwürdige Schach der Kalifen, ist die Originalversion jenes Schachspiels, nach dessen Regeln über 800 Jahre lang Menschen ihre Partien austrugen weltweit überall dort , wo die Kunst des Mattsetzens gepflegt wurde. Und zwar sowohl in der muslimisch geprägten Hemisphäre als auch im christlichen Abendland, von Bagdad bis Rom, vom maurischen Granada bis nach Paris und Worms im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

https://en.wikipedia.org/wiki/File:A_treatise_on_chess_2.jpg
An illustration from a Persian manuscript „A treatise on chess“ The Ambassadors from India present the Chatrang to Khosrow I Anushirwan, „Immortal Soul“, King of Persia; 14th century

Einer der ersten prominenten Fans des besagten Shatranj – in dem „Elefanten“ statt „Läufer“ das 64-Felder-Brett unsicher machten und diskrete „Wesire“ statt dominanter „Damen“ ihre Fäden sponnen (siehe Foto oben) – war der berühmte muslimische General ‚Amr ibn al-‚As (ca. 585-664), der Ende 639 in Ägypten einmarschierte und im Sturmlauf die Oströmer vertrieb.
Wenige Jahrzehnte später staunten die Zeitgenossen über Sai’id ibn Jubair (665-714), den ersten Champion der Schachgeschichte, der seine Matches quasi „blind“, nämlich ohne Ansicht des Brettes, austragen konnte. Und daher wird jetzt auch das Hamburger Shatranj-Revival-Turnier 2016 zu Ehren des legendären Meisters veranstaltet.

Die ersten Aliyat – die Ehrenbezeichnung ist das Gegenstück zum modernen Titel des Großmeisters – wurden ab 819 von den Kalifen persönlich ernannt, daher kann man das Shatranj mit Fug und Recht auch das Schach der Kalifen nennen. Berühmte Aliyat und Autoren waren al-Adli, ar-Razi und as-Suli, die im 9. und 10. Jahrhundert epochale Lehrbücher publizierten über Taktiken und Strategien im Shatranj.
Dieser reichhaltige kulturelle Schatz ist für die meisten Menschen jedoch leider in Vergessenheit geraten, weil Schach seit dem Ende des 15. Jahrhunderts nicht mehr nach den Regeln des Shatranj gespielt wird. Schließlich wurden im Gefolge massiver Regeländerungen, und zwar ausgehend von Spanien und Italien, im Szenario der 64 Felder die bereits erwähnten „Elefanten“, die aus orientalischen Träumen zu kommen schienen, durch Läufer ersetzt sowie die „Wesire“, die zuvor spielerisch in Geschichten aus Tausendundeiner Nacht entführt hatten, zu Gunsten der Damen in die (denk-)sportgeschichtliche Versenkung geschickt. So dass fortan höchstens noch Spezialisten die inspirierende Schönheit des versunkenen Shatranj-Universums kannten.
Aber jetzt – anlässlich der „Arabischen Kulturwochen 2016“ – erlebt Shatranj, die arabische Originalversion des Schachspiels, ihr längst überfälliges Revival in Gestalt des „Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016“ in Hamburg, Germany.

Dann wird auf diese Weise in der Hansestadt an der Elbe ein Stück moderner (Denk-)Sportgeschichte geschrieben – zumal das bevorstehende Turnier noch aus einem anderen Grund äußerst symbolträchtig ist. Denn schon vor gut 100 Jahren, und zwar von 1913 bis 1915, wurde in Deutschland ein erster Anlauf genommen, um das Shatranj wiederzubeleben: mit einem Korrespondenzturnier, das die renommierten Fachmagazine „Deutsches Wochenschach“ und „Berliner Schachzeitung“ gemeinsam ausschrieben und an dem damalige Topleute wie Walther Freiherr von Holzhausen (1876-1935) teilnahmen.
An jenen Vorstoß vor gut 100 Jahren knüpft im frühen 3. Jahrtausend nun das „Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016“ in Hamburg an. Bereits im November 2015 wurde ein Testlauf, in Form eines Schülerturniers an der Hamburger Grundschule Grumbrechtstraße gestartet. Jetzt wird dem im Rahmen der „Arabischen Kulturwochen 2016“ eine quasi offizielle Note verliehen. Mit dem erklärten Ziel der Organisatoren René Gralla, Jürgen Woscidlo – die unterstützt werden von Hamburgs Shôgi-Webmaster Fabian Krahe – das großartige Originalschach „Shatranj“ endlich den Kindern Arabiens zurückzugeben und damit natürlich auch dem Rest der Welt!

Und das wiederum hat zusätzlich eine ganz besondere Bedeutung in diesen Tagen – da ja nach Deutschland viele Menschen aus dem arabischen Kulturraum gekommen sind, und jetzt dürfen diese Menschen mit Stolz erfahren, dass Arabiens Originalschach Shatranj gerade hierzulande neue Wertschätzung erfährt.

Wer sich kurzfristig dazu entschließt, das Shatranj im bevorstehenden Hamburger Turnier auszuprobieren (ein Startgeld wird nicht erhoben!), meldet sich per Email an unter jwoscidlo@msn.com oder renegralla@gmx.net (oder spontan am Turniertag vor Ort im Turniersaal bis spätestens 11.45 Uhr).

Das Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016
ist ein eintägiges Shatranj-Turnier
nach Schnellschach-Regeln / 15 Minuten pro Spieler und Partie,
an der Universität Hamburg, Asien-Afrika-Institut, Edmund-Siemers-Allee 1, 20146 Hamburg,
Raum 121; Beginn: 12:00 Uhr
Es wird kein Startgeld erhoben


Übrigens nehmen Schachhistoriker eben auch an, dass Shôgi seine Wurzeln gerade nicht in Chinas Xiangqi hat, sondern in Thailands Makruk – und damit eben auch im Shatranj – weil der „Silbergeneral“ im Shôgi dem „Khon“ im Makruk entspricht, und weil die letztgenannte Figur aus dem Makruk eine Weiterentwicklung des „Elefanten“ des Shatranj ist; und außerdem Xiangqi allein der „Wagen“ – nicht jedoch der „General“ im Xiangqi – genau so zieht wie die Gegenstücke in Shôgi, Makruk und Shatranj.

René Gralla