Shôgi. Eine Einführung
4. Mittelspiel

Teil 4 – Mittelspiel

Um als Anfänger im Shôgi besser zu werden, ist es wichtig, sich zuerst der Taktik zu widmen und immer wieder und wieder im Spiel einzuüben. Im Kapitel Strategie und Taktik gab es dazu bereits Grundlegende Informationen. Besonders Tesuji sollten verstanden und geübt werden, bevor man sich den Feinheiten der Strategie widmet. Wir haben bereits einfache Eröffnungspattern kennen gelernt, bei denen es darum ging, seine Steine für Angriff und Verteidigung richtig zu formieren. Im Mittelspiel 中盤 zeigt sich, ob die Vorbereitungen der Eröffnungsphase von Erfolg gekrönt sind. Beide Spieler gehen in den Angriff über, die Truppen prallen aufeinander und erste Steine werden geschlagen oder getauscht. Neben den einfachen Taktiken, die die unbedingte Grundlage bilden, um zu einem fortgeschrittenen Spieler zu werden, gibt es einige Konzepte für das Mittelspiel, die sowohl ein tieferes Verständnis des Spiels benötigen, aber auch ermöglichen. Nachfolgend finden sich sowohl japanische als auch westliche Spielkonzepte.

Konzepte des Mittelspiels

Gute und schlechte Form

Gute 良形 und schlechte Form 悪形 sind zwei Seiten einer Medaille. Form bedeutet die relative Positionierung der Steine zueinander. Eine gute oder schlechte Form hängt von der Effektivität der Steine ab. Können die Steine effektiv und zur Erfüllung ihres jeweiligen Zieles eingesetzt werden, ist die Form gut. Sind die Steine jedoch wahllos platziert, behindern sich gegenseitg, sprich, können nur ineffektiv eingesetzt werden, dann ist die Form schlecht. Der wichtigste Stein auf dem Brett ist der König und so entscheidet seine Positionierung in letzter Konsequenz über die Form. Selbst wenn man noch so ein schönes Gakoi baut, wenn der König die Burg verlässt und sich in Gefahr begibt, ist alles eine schlechte Form, egal wie effektiv die anderen Steine auf dem Brett agieren können.

Die fünfte Reihe

Während es im Schach wichtig ist, dass Zentrum zu nehmen, um eine gute Ausgangsposition für das Mittelspiel zu erreichen, ist es im Shôgi die gesamte fünfte Reihe, die für eine gute Ausgangsposition für das Mittelspiel wichtig ist. Bevor man mit dem Angriff beginnt, sollte man seine eigenen Steine in eine gute Position für den Angriff bringen, und gleichzeitig versuchen, den Gegner in eine schlechte Position zu bringen. Ein Ziel in der Eröffnung ist es, Raum zu gewinnen und so diesen Raum für den Gegner zu verwehren und ihn zu zwingen, seine Steine nicht optimal und effektiv zu platzieren. Genau dazu dient die Kontrolle der fünften Reihe. Raumgewinn kann jedoch im Mittelspiel auch zu einem zweischneidigen Schwert werden. Denn sobald Steine abgetauscht werden und das Brett sich leert, wird man anfälliger für wohlplatzierte Drops des Gegners. Das bedeutet auch, das die Kontrolle der fünften Reihe mit Beginn des Mittelspiels unwichtiger wird. Ein Bauer, der die fünfte Reihe erreicht, wird als vanguard pawn bzw. vanguard position (Vorhutbauer, im jap. nur kurai 位) bezeichnet. Dieser kann besonders effektiv sein, die gegnerischen Reihen in Unordnung zu bringen.

Sabaki

Sabaki 捌き ist ein oft benutzter Begriff im Shôgi, für den es keine adäquate Übersetzung gibt. Er bedeutet soviel wie, eine Technik, um eine Situation mit einem akzeptablen Ergebnis aufzulösen. Bei dieser Technik ist ein dynamischem Manöver eines Steines involviert und dieser Stein erreicht dadurch ein bestimmtes Ziel oder erfüllt eine bestimmte Aufgabe. Dies kann auch heißen, einem Stein eine Möglichkeit zu geben, aktiv und effektiv am Spiel teilzunehmen, eben indem es seine spezifische Aufgabe erfühlt. Sabaki ist die Substantivform vom Verb sabaku. Die intransitive Form ist sabakeru. Im Deutschen lässt es sich mit „Sabaki erreichen“, „Sabaki ausführen“, oder „Sabaki geben“ übersetzten. Sabaki ist ein Konzept, dass typischerweise im Mittelspiel Anwendung findet.

Aji

Aji 味 meint wörtlich übersetzt Geschmack. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Go, wird aber auch seit langer Zeit im Shôgi benutzt, um eine Situation zu beschreiben, bei der ein Spieler die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten hat, die Partie weiter zu entwickeln, sich jedoch entscheidet, die Situation auf dem Brett bestehen zu lassen, um sich alle Optionen offen zu lassen und den Gegner rätseln zu lassen.

Material

Professionelle Shôgispieler sind eher zurückhaltend, den Steinen einen bestimmten Wert zuzuschreiben. Dennoch lässt sich allgemein eine Rangfolge der Wertigkeit der Steine feststellen: König -> Turm -> Läufer -> Gold -> Silber -> Springer -> Lanze -> Bauer. Es ist leicht ersichtlich, dass diese Rangfolge ziemlich genau der Aufstellung der Steine in der Grundposition entspricht. Die Steine bilden dabei jeweils Paare Turme und Läufer, Gold und Silber, Springer und Lanze, wobei jeweils der Wertunterschied zwischen den Paaren größer ist als innerhalb. Besonders in der Eröffnungsphase sollte man darauf achten, etwa gleichwertig Steine zu tauschen, wobei es oft sinnvoll sein kann, z.B. einen Läufer gegen zwei Generäle oder einen General und einen Springer oder eine Lanze einzutauschen. Das hängt aber immer auch von der Gesamtsituation auf dem Brett ab. Der Turm ist der wichtigste Stein für den Angriff, also sollte ein Verlust desselben möglichst vermieden werden. Mit Fortschreiten des Spiels wird es weniger wichtig, Steine mit etwa gleichem Wert oder gleichwertiger Kompensation auszutauschen. Viel wichtiger werden dann Tempo und Initiative zu gewinnen oder aufrechtzuerhalten.

Tempo und Initative

Tempo und Initiative sind zwei Konzepte, die stark miteinander verbunden sind. Tempo, im Plural Tempi, ist eine Art Zeiteinheit im Schach und bezeichnen einen Zug (im FIDE-Schach einen Halbzug). Wenn man auf dem Brett drei Züge macht, obwohl einer ausgereicht hätte, um das Ziel zu erreichen, man also ineffektive Züge ausführt, spricht man von einem Tempoverlust. Gerade in der Eröffnungsphase sollte eine Tempoverlust vermieden werden. Denn jeder Tempoverlust gibt dem Gegner einen zusätzlich Zug und damit einen potentiellen Vorteil. Aktiv einen Tempogewinn zu erspielen, ist in diesem Sinne nicht möglich. Ein Tempoverlust kann im Mittespiel u.a. eintreten, wenn man zu früh den Gegner angreift und sich dann wieder zurückziehen muss. Gleichfalls kann das Schlagen von Steinen zu einem Tempoverlust führen und insbesondere im Endspiel kann es oft sinnvoller sein, auch einen Ôgoma nicht zu schlagen, um dann genug Tempi zum Matt setzen zu haben.

Tempo ist auch wichtig, um die Initiative zu gewinnen oder zu erhalten. Initiative bedeutet, das Spielgeschehen zu bestimmen, also selbst zu agieren, während der Gegner auf die eigenen Züge reagieren muss. Schwarz hat als Anziehender im Shôgi zuerst die Initiative. Er kann jedoch durchaus vorsätzlich entscheiden, die Initiative abzugeben, um einen anderen Vorteil zu gewinnen. Sei es nun ein Materialgewinn oder eine stärkeres Gakoi als der Gegner. Selbiges gilt auch für Tempi. Es bedarf einiger Erfahrung, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wann ein Tempoverlust oder ein Verlust der Initiative sinnvoll erscheint. Oft genug wird dann auch der Gegner diesen Gewinn der Initiative nicht in einen Vorteil münzen können und sein Angriff bzw. Ziel würde einfach im Sande verlaufen.

Zusammenhalt und Löcher

Der Zusammenhalt der Steine ist wichtig für die Verteidigung. Decken sich die verteidigenden Steine gegenseitig, ist es schwierig für den Gegner durchzubrechen. Sind die eigenen Steine über das Brett verstreut, muss Tempoverlust in Kauf genommen werden, um Zusammenhalt und damit eine effektive Verteidigung zu erreichen. Auf Zusammenhalt sollte bereits bei der Eröffnung geachtet werden und vor allem auch, wie der Zusammenhalt auch im Mittelspiel aufrechtzuerhalten ist. Insbesondere sollte auf die Generäle geachtet werden, denn sie sind das Rückgrat jeder Verteidigung und die wichtigsten Steine, um Zusammenhalt zu erreichen. Beim Gold sollte darauf geachtet werden, dass dieser es schwieriger hat als der Silber, sich zurückzuziehen.

In der Verteidigung sollte nicht nur auf Zusammenhalt geachetet werden, sondern auch auf Löcher. Löcher entstehen da, wo sich dem Gegner die Gelegenheit bietet, Steine von der Hand in die Verteidigungsstellung zu setzen. Dieser leere Raum sollte also auch gedeckt werden, damit sich dem Gegner nicht die Möglichkeit bietet, einfach Steine einzusetzen und zu befördern, und so die eigene Verteidigung zu durchbrechen. Dies kann auch verhindert werden, indem man darauf verzichtet, Steine mit dem Gegner zu tauschen, die ihm einen einfachen und effektiven Drop ermöglichen würde.