Shôgi. Eine Einführung
2. Strategie und Taktik

Teil 2 – Strategie und Taktik

Das Spiel lässt sich in drei Phasen einteilen, die dynamisch ineinander übergehen: Eröffnungs-, Mittel- und Endspiel. Übergeordnetes Ziel ist immer den gegnerischen König Schachmatt zu setzen. Für jeder Phase gibt es bestimmte Strategien, Taktiken und Zwischenziele, um dieses Ziel zu erreichen.

Unterschied zwischen Strategie und Taktik

Strategie bedeutet im Schach einen langfristigen Plan zu entwickeln, um das ultimative Ziel des Spiels zu erreichen, den Gegner zu besiegen. Um diese Strategie auf dem Brett umzusetzen benötigen wir die Taktik, bei der konkrete Züge überlegt und ausgeführt werden. Shôgi gehört – wie fast alle Schachvarianten – zu den Spielen mit perfekter Information. Das erlaubt uns Spielern, mögliche Zugkombinationen im Kopf zu durchdenken, also voraus zu berechnen. Im Spiel kommen bestimmte Stellungen bzw. Zugkombinationen immer wieder vor und es lohnt sich, sich diese einzuprägen.

Strategie im Shôgi

Bevor man eine Partie beginnt, sollte man sich erst einmal Gedanken über die Strategie machen, die man anwenden möchte. Möchte man ein schnelles Spiel spielen oder ein langsames? Entsprechend dieser Überlegung kann man dann aus vielen verschiedenen elaborierten Eröffnungen wählen. Dazu im nächsten Kapitel mehr. An dieser Stelle sei zunächst nur festgestellt, dass Shôgi anders funktioniert als FIDE-Schach. Während im heutigen FIDE-Schach die Kontrolle des Zentrums wichtig ist, ist das im Shôgi nicht so sehr von zentraler Bedeutung. Im Shôgi ist es wichtiger, die Kontrolle über die fünfte Reihe zu erlangen. Das liegt vor allem auch daran, dass im Shôgi es deutlich besser funktioniert über die Flanke anzugreifen. Generell sollte Anfänger sich folgenden Grundsatz merken: Bringe deinen Turm auf die eine Seite des Bretts und deinen König auf die andere Seite. Im Japanischen gibt es dafür ein Sprichwort: 王飛接近すべからず (ôhi sekkin subeka razu) „Halte deinen König und deinen Turm auseinander“

Der Turm ist der wichtigste Spielstein für den Angriff. Der Angriff wird meist von ihm ausgeführt, unterstützt vom Läufer, einem Silber, einem Springer und/oder einer Lanze. In der ersten Reihe des Angriffs stehen aber immer die Bauern. Obgleich ein Bauer dir womöglich als der unscheinbarste unter deinen Steinen erscheinen wird, ist er doch immer das Rückgrat deiner Strategie und du wirst bereits nach einigen Spielen den Wert dieses Steines erfahren. Es ist eine gute Idee, für einen Angriff immer zwei, oder besser noch drei Bauern auf der Hand zu haben.

Während der Turm den Angriff ausführt, muss der König in Sicherheit gebracht werden. Und meist ist es sicherer, ihn abseits des Kampfgeschehens zu schützen als mitten drin. Der König wird meist von drei Generälen beschützt. Den beiden Goldgenerälen und einem Silbergeneral. Im Laufe der Zeit haben sich bestimmte Verteidigungsformation entwickelt, die Kakoi 囲い genannt werden. Das Wort bedeutet ursprünglich soviel wie „umzäunen“ oder „einzäunen“. Im Englischen bezeichnen wir das als Castle, im Deutschen als Burg. Zu den bekanntesten Gakoi zählen das Yagura-Gakoi 矢倉囲い, das Mino-Gakoi 美濃囲い und das Anaguma-Gakoi 穴熊囲い.

Taktik im Shôgi

Bei der Taktik geht es um konkrete Zugfolgen, um eine vorher gefasste Strategie umzusetzten. Im Shôgi gibt es einige grundlegende Taktiken, die sich so auch im FIDE-Schach finden.

Gabel

Eine Gabel (ryôtori 両取り) bedeutet, mit einem Shôgistein zwei Stein des Gegners gleichzeitig anzugreifen, so dass man einen davon mit Sicherheit schlagen kann. In obigem Diagramm sehen wir drei der häufigsten Gabelmotive im Shôgi: Gabeln mit Springer, Läufer oder Silbergeneral. Es sollte im Hinterkopf behalten werden, dass im Shôgi Steine von der Hand aufs Spielfeld eingesetzt werden können. So sollte man dies bei der eigenen Formation der Steine stets bedenken, denn ein Silber oder Springer ist oft schneller getauscht, als man gucken kann.

Spieß

Der Spieß (dengakuzashi 田楽刺し) hat ein ähnliches Motiv wie die Gabel. Auch hier werden zwei Steine gleichzeitig bedroht, indem Steine mit langer Reichweite eingesetzt werden. Bewegt sich der Läufer auf 9四, kann die Lanze den dahinter positionierten Silber schlagen. Bewegt sich der vom Läufer bedrohte Turm auf 3三, kann der Läufer den dahinter stehen Gold schlagen.

Fesselung

Ein Fesselung (pin ピン) funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie ein Spieß. Kann sich der Springer auf 3一 nicht bewegen, weil sonst der König im Schach stände, spricht man im FIDE-Schach von einer echten Fesselung, da der Zug des Springers nicht erlaubt wäre. Im Falle des Läufers, der droht den Gold zu nehmen, sollte sich der Bauer bewegen, nennt sich dies unechte Fesselung, da der Bauer legal einen Zug ausführen kann.

Abzugsschach

Abzugsschach (akiôte 開き王手) bedeutet, durch das Wegbewegen eines Steines, dem dahinter stehenden Stein einen Angriff auf den König zu erlauben. In obigem Beispiel kann so der Läufer den Gold nehmen, ohne zu fürchten, geschlagen zu werden. Denn nun steht der König durch die Lanze im Schach und Weiß muss entsprechend reagieren.

Tesuji

Im Shôgi gibt es das Konzept des Tesuji 手筋. John Fairbairn definiert ein Tesuji als:

„A standard clever move or sequence that best exploits a particular type of local situation that one learns by experience to recognise.“

John Fairbairn: Shogi for Beginners, 6. Auflage, Tokyo, Santa Monica, Amsterdam 2008, S. 91.

Ein Tesuji ist also eine kluger Standardzug oder eine kluge Zugsequence, die am besten eine bestimmte Art von lokaler Stellung ausnutzt, die man mit Erfahrung lernt zu erkennen. Es gibt im Shôgi dutzende Tesuji, viele davon sogar mit Namen. Bei Tesuji, genauso wie Jôseki, ist es wichtiger, diese zu verstehen als stumpf auswendig zu lernen.

Der zuschlagende Bauer / The Striking Pawn / タタキノ歩

Bauern sind äußerst nützliche Steine. Ein einzelner Bauer, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, kann eine ganze Verteidigung durcheinander bringen. Doch schlägt ihn der Gegner, hat er dennoch nur einen Bauern auf der Hand. In diesem Tesuji wird dieser besondere Wert des Bauern genutzt. Die Idee ist meist, einen Bauern zu opfern, um einen gegnerischen Stein in die richtige Position für ein weiteres Manöver zu bringen.

In diesem Beispiel setzt Schwarz den Bauern auf 2二 ein. Der Bauer greift jetzt den Springer auf 2一 an. Schlägt jedoch der Gold den Bauern, um den Springer zu schützen, kann Schwarz seinen Läufer auf 3一 einsetzen und den Gold und den Silber von Weiß gabeln.

Der aufeinanderfolgende Bauernangriff / The Joining Pawn Attack / ツギ歩

Mehrere Bauern auf der Hand können in kurzer Folge eingesetzt, die gegnerische Verteidigung in Unordnung bringen. In diesem Beispiel will Schwarz mit seinem Silber weiter angreifen. Wenn er den Silber aber auf 25 vorzieht, ist Weiß am Zug und kann den Angriff leicht abwehren. Schwarz nutzt nun seine Bauern auf der Hand, um seinem Silber den Angriff zu ermöglichen mit ☗2四歩打☖同歩☗2五歩打☖同歩☗同銀. Schwarz hat nun seinen Silber in eine vorteilhaftere Position für den Angriff gebracht. Versucht jetzt Weiß mit ☖2三歩打 zu verteidigen, kann Schwarz mit ☗2四歩打☖同歩☗同銀 seinen Silber weiter entwickeln und sogar auf 2三 durchbrechen.

Der hängende Bauer / The Dangling Pawn / タレ歩

Oft kann es von Vorteil sein, mit einem Bauern nicht direkt einen gegnerischen Stein einzusetzen. Setzt man den Bauern ein Feld entfernt ein und er kann dann in das gegnerische Lager eindringen bzw. sich darin bewegen, lässt sich dadurch die Kraft des Tokin mobilisieren. Würde man den Bauern in obigen Beispiel direkt auf 2三 einsetzen, würde er nur den Läufer angreifen und würde so kaum effektiv genutzt. Doch als hängender Bauer auf 2四 droht er als Tokin im folgenden Zug den Läufer und den Goldgeneral anzugreifen und so die gegnerische Verteidigung zu durchbrechen. Versuche immer deine Steine so effektiv wie möglich einzusetzen.

Der entgegengesetzte Bauer / The Opposing Pawn / 合せ歩

Tesuji sind selbstverständlich nicht nur auf den Angriff beschränkt, viele Tesuji können genauso gut in der Verteidigung eingesetzt werden.

In diesem Beispiel verteidigt sich Schwarz gegen den Vorstoß von Weiß auf der 8ten Linie. Das Ziel muss also sein, einen weiteren Verteidiger hinzuzufügen. Dafür spielt Schwarz ☗7七歩打☖同歩☗同金. Damit kann der Gold 8六 gegen einen möglich Vorstoß von Weiß verteidigen. Ein Weißer Gegenangriff mit ☖7六歩 funktioniert nicht, da sonst ☗同銀 folgt und Schwarz seinen Silber zum Tausch für den angreifenden Gold anbietet.

Zieh den Läufer im Endspiel zurück / 角を引き寄せて

Hier ein Tesuji, das sicherlich interessant für alle Mino-Gakoi-Spieler ist. Spielt man ein klassisches Mino-Gakoi, zieht man normalerweise ☗1六歩, um einen Fluchtweg zu haben. Durch seinen Vanguard Pawn (kurai 位) auf der ersten Linie verhindert Weiß, dass Schwarz sich diesen Fluchtweg öffnet. Es droht der Mattangriff ☖3六桂打☗1八王☖2八金打. Ein typischer Angriff auf ein Mino-Gakoi, der auch oft auf Turnieren gespielt wird. Um ihn abzuwehren, kann der Bauer auf ☗4六 歩vorgezogen werden. Um die Drohung aufrecht zu erhalten, muss der Läufer schlagen. Dann kann dieser allerdings mit ☗4七金 zurückgedrängt werden. Gleichzeitig deckt der Gold 3六 und kann so ein Einsetzen des Springers auf dieses Feld verhindern. Diese Art zu Verteidigen, kommt auch mit dem Sprichwort „Verteidige, indem du die großen Steine näher heranholst“ 「大駒は近づけて受けよ」zum Ausdruck.