Nachdem sich in den letzten zwei Jahren die Shôgiszene wegen Corona hauptsächlich online getroffen hat, kehrt dieses Jahr wieder etwas Normalität ein. Musste das Kurpfälzer Neujahrs-Open Anfang des Jahres zwar noch online stattfinden, wurde im Februar in Berlin zum 7. Mori Ogai-Turnier an den richtigen Brettern gespielt. Auch die ODM in Frankfurt konnte dieses Jahr wie geplant durchgeführt werden und einige weitere Turniere sind dieses Jahr noch in Planung.
Auch die Hamburg Shôgiszene erwacht langsam wieder aus dem Pandemiekoma. Uwe Frischmuth lud anlässlich seines Geburtstags die Hamburger Shôgispieler zu einem kleinen Turnier in den wunderschönen Garten seiner Wohnung in Schwarzenbek. Sieben Spieler folgten der Einladung, darunter einer aus Bremen und einer aus Wolfsburg, die beide gerne die etwas längere Anfahrt auf sich nahmen. Beim Shôgigartenturnier 2020 in Bremen wurde mit acht Spielern noch Round-Robin gespielt, doch da sieben Spiele an einem Tag ziemlich anstrengend sind, schlug Uwe als Turnierleiter ein etwas unorthodoxeres Turnierformat vor. Die Spieler wurden in zwei Gruppen á vier Spieler aufgeteilt, die im Round-Robin gegeneinander antraten. Anschließend spielte der erste aus Gruppe A gegen den zweiten aus Gruppe B und der dritte aus Gruppe A gegen den vierten aus Gruppen B und umgekehrt das Halbfinale und die Sieger dieser vierten Runde spielten dann um den ersten, dritten, fünften und siebten Platz in der Endauswertung.
In der Gruppe A sorgte Fabian Krahe für eine klare Rangfolge in der Tabelle, indem er alle Partien eindeutig verlor – eine davon durch ein selten blödes Nifu. So konnte sich Ingo Köhler über einen leicht gewonnen Punkt freuen. Gruppensieger wurde ungeschlagen Anton Borysov, der damit auch einen Sieg über den sehr starken Turnierneuling Masanori Hosata verbuchen konnte.
Gruppe B entschied sich, es dem Turnierleiter etwas schwieriger zu machen. Während Yuki Nagahori souverän drei von drei Punkten holte, besiegte Konrad Dreier in Runde eins Uwe Frischmuth, nur um in Runde zwei von Jürgen Woscidlo auf die Matte geschickt zu werden, der sich wiederum Uwe in Runde drei geschlagen geben musste. Konrad war nach dreijähriger coronabedingter Spielpause mit seinem einen Punkt vollauf zufrieden und ließ sich vom Turnierleiter auf Gruppenplatz vier setzen. Uwe und Jürgen entschieden dann in einer Blitzpartie, welcher von ihnen beiden den zweiten Gruppenplatz erhalten sollte, um die Chance zu haben, um Platz eins zu spielen.
Im Halbfinale musste sich der bisher unbesiegte Yuki Masanori geschlagen geben. Und da es Anton gelang, Uwe vom Brett zu putzen, kam es im Finalspiel um Platz eins zu einem Rematch: Anton gegen Masanori. Diesmal konnte Masanori die Partie für sich entscheiden und sicherte sich den ersten Platz im ersten Shôgi-Gartenturnier in Schwarzenbek. Den dritten Platz gewann Yuki mit einem souveränen Sieg über Uwe. Der fünfte Platz fiel an Konrad, der nach einigen verpatzten Angriffsversuchen von Fabian, in dessen Yagura einmarschierte. Platz sieben ging nach Wolfsburg, da Ingo in seinem letzten Spiel Jürgen niederringen konnte.
Wie bei bisher jedem Turnier im Norden Deutschlands gingen alle Teilnehmer zufrieden nach Hause. Jeder konnte sich über mindestens ein gewonnenes Spiel und eine lehrreiche Niederlage freuen. Für reichlich Speis und Trank und einen wirklich wundervollen Spielort hatte der Gastgeber Uwe Frischmuth gesorgt, dem an dieser Stelle nochmals aller Dank gebührt.
Weitere Turniere sind in Planung und es bleibt zu hoffen, dass wieder mehr Schwung in die norddeutsche Shôgiszene kommt. Mit diesem kleinen und vorzüglichen Turnier ist auf jeden Fall ein hervorragender Auftakt gelungen.
Place
Name
Level
1
2
3
4
5
Points
1
Hosakata, Masanori
21 Kyu
6
-2
7
3
2
4
2
Borysov, Anton
4 Kyu
7
1
6
4
-1
4
3
Nagahori, Yuki
2 Kyu
8
4
5
-1
4
4
4
Frischmuth, Uwe
3 Kyu
-5
-3
8
-2
-3
1
5
Dreier, Konrad
5 Kyu
4
-8
-3
6
7
3
6
Köhler, Ingo
5 Kyu
-1
7
-2
-5
8
2
7
Krahe, Fabian
5 Kyu
-2
-6
-1
8
-5
1
8
Woscidlo, Jürgen
8 Kyu
-3
5
-4
-7
-6
1
Endtabelle Shôgi-Gartenturnier in Schwarzenbeck bei Hamburg 2022
Thailand, das für sein vielfältige Küche, die abwechslungsreiche Natur und die kulturellen Schönheiten berühmt ist, hat auch schachlich – zusammen mit dem benachbarten Kambodscha – einen großen Schatz zu bieten: Makruk und Ouk Chaktrang!
Beide Schachvarianten sind sehr eng verwandt, daher weisen sie historisch, aber auch gegenwärtig noch viele Gemeinsamkeiten auf. Makruk wird in Thailand und Ouk Chaktrang in Kambodscha gespielt. Dass der Autor Pirapong Patumraat beide Varianten deshalb in einem Buch behandelt, ist sinnvoll. Patumraat verweilt allerdings nicht allein in den beiden Stammländern dieser Schavarianten, sondern spannt einen schachlichen Bogen über den halben Globus, indem er immer wieder Verbindungen zu anderen Schavarianten wie Shôgi oder FIDE-Schach und zu Größen unserer europäischen Schachvariante wie Capablanca, Lasker oder Kramnik herstellt. Auf einigen Seiten geht er zusammen mit dem bekannten Hamburger Schachjournalisten René Gralla auf die internationale Bedeutung des Makruk ein, wobei ein Abschnitt sogar tatsächlich dem Makruk in Deutschland gewidmet ist. Kaum verwunderlich, sind doch die beiden Hamburger Jürgen Woscidlo und René Gralla dem Autor, der Germanistik in Deutschland studiert hat und sich selbst den Vornamen Ludwig gab, seit langer Zeit freundschaftlich verbunden und setzen sich intensiv für die Förderung internationaler Schachvarianten – wie eben dem Makruk – in Deutschland ein. Seit 2011 gibt es an der Grundschule Grumbrechtstraße in Hamburg-Heimfeld eine Schach-AG in der auch Makruk unterrichtet wird.
Der erste Teil des Buches bietet einen historischen Überblick über die Entwicklung des Khmer Reiches von Angkor (802 bis 1431) und Thailands bzw. dessen Vorgängerreiche von Sukhothai und Ayutthaya. Damals war Südostasien wie Europa eine unruhige Region mit häufigen Kriegen. Den Status einer unruhigen Region hat es bis heute kaum ablegen können, bedrohen doch die Hegemoniebestrebungen der Volksrepublik China den brüchigen Frieden in der Region. Zurzeit des Reiches von Angkor war China schon einmal die unbestrittene Hegemonialmacht Ost- und Südostasiens. Damals übte China großen kulturellen Einfluss auf die Region aus und war mit Botschaftern vor Ort präsent. Die Herrscher von Angkor haben leider keine großen Bibliotheken hinterlassen. Sehr wohl aber Reliefs an Gebäudewänden und Tempelstelen mit Inschriften in Sanskrit. Auf einem dieser Reliefs ist auch ein Spiel dargestellt, dass eine Partie Ouk Chaktrang darstellen könnte. Ob das tatsächlich die älteste Darstellung der Khmervariante des Schachs ist, ist umstritten.
Im nächsten Abschnitt erklärt Patumraat die Regeln von Makruk und Ouk Chaktrang auf verständliche Weise, aber auch eindeutig an Menschen gerichtet, die bereits Erfahrung im FIDE-Schach haben. Da das gesamte Buch vollfarbig ist, sind auch die Makrukdiagramme zur Regelerklärung vollfarbig. Zur Darstellung der Figuren in den Diagrammen benutzt der Autor jedoch keine stilisierten Symbole, sondern Fotos von echten Figuren. Das mag vielleicht nicht jedermanns Geschmack sein, aber die grafische Aufbereitung ist tadellos und auch die Bebilderung des Buches sticht hervor. Obgleich der nächste Teil des Buches mit „Strategies and Tactics“ betitelt ist, widmet sich der Autor hier praktisch nur der Eröffnungstheorie, welches für die meisten Spieler aber ohnehin die theoretisch interessanteste Phase des Spiels sein dürfte. Viele taktische Manöver im Mittelspiel sollten für einen geübten Schachspieler, an den sich dieses Buch hauptsächlich richtet, ohnehin sofort Einsichtig sein. Abgerundet wird das Buch durch einige Mattaufgaben und einen Glossar, der allerdings etwas mehr Aufmerksamkeit in der Darstellung verdient hätte.
Abschließend lässt sich sagen, dass Pirapong Patumraat, der drei Dekaden lang einer der stärksten Makruk Spieler war, dem Leser auf 147 Seiten einen guten grundlegenden Einblick in die beiden faszinierenden südostasiatischen Mitglieder der Schachfamilie bietet. Auch zeigt er, dass beide Spiele wahrlich keine Museumsschätze sind. Nicht nur in ihren Heimatländern sind sie äußerst lebendig, sondern haben auch weltweit ihre Liebhaber gefunden. Zusätzlich gibt der Autor Tipps, mit welchen Computerprogrammen bzw. wo beide Spiele online gespielt werden können. In Zeiten der Corona-Pandemie nicht unwichtig.
Für alle, die nun Lust auf diese beiden Schachvarianten Südostasiens bekommen haben, hier noch zwei Videos unserer Hamburger Makrukenthusiasten Jürgen Woscidlo und René Gralla:
Bestellungen sind via E-Mail möglich: vanpatumraatludwig@me.com Zahlungsweg: Western Union Online: Pirapong Patrumraat, Bank Saving Account 059134991, Krinthai Bank (Überweisungsgebühren: ca. 4,00 Euro) + Luftfrachtkosten 10,80 Euro.
Der Coronavirus hat unser Leben dieses Jahr ganz schön durcheinander gebracht. Auch der Schachsport hatte darunter zu leiden. Viele Turniere mussten abgesagt werden. Viele Aktivitäten haben sich ins Internet verlagert. Beim Shôgi, der japanischen Variante des königlichen Spiels, ist das nicht anders. Die Deutsche Meisterschaft, die eigentlich im April 2020 in Hamburg stattfinden sollte, musste abgesagt werden. Das Qualifikationsturnier für das Internationale Shôgi Forum in Japan wurde daher auch ins Internet verlegt und wurde auf der Plattform 81Dojo ausgespielt. Regelmäßige Spieletreffs mussten ebenfalls gecancelt werden.
Mit einem Einladungsturnier im kleinen Kreis und im heimischen Garten der Familie wollte der gebürtige Bremer Fabian Krahe am 29. August 2020 daher ein bisschen Normalität in die norddeutsche Shôgiszene zurückbringen. So machten neben dem Organisator an diesem spätsommerlichen Sonnabend sieben Shôgienthusiasten einen Ausflug an die Lesum. Sechs kamen aus Hamburg und Norderstedt, und einer reiste aus Wolfsburg an. Um das Infektionsrisiko möglichst niedrig zu halten, fand das Turnier komplett im Garten statt. Vor Regen schützten ein mobiler Carport und ein großer Regenschirm, doch alle Befürchtungen ob des Wetters stellten sich als obsolet heraus. Die Shôgigötter waren uns wohl gesonnen, und bei strahlendem Sonnenschein, gegen den versprengte Wanderwolken keine Chance hatten, wurden fleißig Steine geschoben über die Bretter, die die Welt bedeuten.
Das alles war nur möglich dank der großartigen Unterstützung von Uwe und Birgit Krahe, den Eltern des Organisators. Sie stellten nicht nur den wundervollen Garten bereit, in dem das Turnier ausgetragen wurde, sondern bewirteten auch als hervorragende Gastgeber die ambitionierten Mattkünstler.
Die Gastgeber Birgit und Uwe Krahe, die ihren wundervollen Garten für das Turnier bereitstellten.
Das kleine, aber feine Event war gewissermaßen die direkte Folgeveranstaltung jenes Open-Air-Wettkampfes, zu dem vor gut 14 Monaten das Shôgi-begeisterte Ehepaar Ritsuko und Rolf Müller in deren idyllische Grüne Oase in Lübecks südlichem Quartier Sankt Jürgen geladen hatte. Besagtes „Ôhashi Soyo Shôgi Memorial“ in der Trave-Metropole sollte am 22. Juni 2019 daran erinnern, dass vor 150 Jahren in Japan während der Edo-Restauration der Relaunch des professionellen Denksports mit Hausturnieren in den Anwesen seinerzeit dominierender Champions begonnen hatte. Einer der Frontleute damals war der ehrwürdige Meister Ôhashi Soyo (um 1835 – 1891), und der umtriebige Sensei dürfte sich auf seiner Wolke heuer garantiert himmlisch darüber gefreut haben, dass seine epochale Initiative von einst im fernen Europa des digitalen Millenniums nach der Lübecker Premiere 2019 nun bereits die zweite Neuauflage im Bremen dieser Tage erleben würde.
Durch die informelle und freundschaftliche Atmosphäre war es möglich, an einem einzigen Tag ein Round-Robin-Turnier mit acht Spielern durchzuziehen, das heißt, jeder spielte insgesamt sieben Partien mit 30 Minuten + 30 Sekunden Byôyômi Bedenkzeit. Eine starke Leistung aller Turnierteilnehmer. So wurde dann auch manch denkwürdige Partie ausgefochten. In der Begegnung René Gralla gegen Fabian Krahe wogte das Gefecht hin und her. Im Endspiel gelang es Fabian zunächst, René in die Ecke seines Minogakoi zu treiben, doch ein tödlicher Schlag blieb aus. Das nutzte René, um zu einer waghalsigen Mattkombination anzusetzen mit dem Plan, Fabians König aus dessen Hidariminogakoi zu treiben und auszuknocken. Fast gelang das dem René auch, doch im Eifer des Gefechts verwechselte er das Pferd mit dem Drachen und übersah den entscheidenden Zug. Diese unverhoffte Atempause wiederum reichte Fabian, das Match komplett zu drehen und nun seinerseits den René per Blitz-Matt auf die virtuelle Matte zu schicken.
Ein Partieausgang, der René zu Recht frustrierte. Schließlich hatte er sofort nach Ausführung eines albernen Dummie-Moves – der vermeintlich die Sackgasse, in die Fabians König geflüchtet war, endgültig abriegeln sollte, leider aber bei rollender Attacke das Tempo selbstmörderisch drosselte, so dass Gote dankbar ein flottes Tsume exekutieren durfte – den alternativ möglichen und zugleich alternativlosen Coup de grâce erkannt. Der wäre robust und trocken gewesen: Die schwarze Lanze 3c rückt schnöde auf 3b vor, promoviert schulmäßig und triggert im gleichen Atemzug ein krachendes Abzugsschach, und zwar im engen Gefechtsverbund mit dem schwarzen Horse, das aus dem äußersten Winkel des weißen Lagers dem zernierten Gyokusho aka „Juwelengeneral“ stante pede einen Hammer-Huftritt serviert. „Als ich das Malheur bemerkte, poppte in mir der wilde und wütende Impuls auf, blitzschnell und kackenfrech das Ding zurückzunehmen“, wie René hinterher gestand. Ein notorischer Taschenspielertrick, den der Co-Autor dieses Berichts gelernt haben will während Rauch- und Sliwowitz-geschwängerter nächtlicher Sessions im Kreis von Schachkumpels, die stolz sind auf ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zur Balkanregion, wo harte Bandagen oft mehr Respekt verschaffen als wohlfeile Moralpredigten. Aber das internalisierte sportliche Über-Ich rief den René doch wieder streng zur Ordnung, abgesehen davon, dass dem Trottel der Saison ein verzweifelter Griff nach der (ohnehin verbotenen) Zocker-Notbremse unter Punktspielbedingungen nichts mehr genützt und auf die maximale Peinlichkeit des vergeigten Games höchstens noch anderthalbe draufgesetzt hätte.
Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Wegen überraschender Terminprobleme am frühen Samstagmorgen schlug René erst eine gute Stunde nach Anpfiff der ersten Runde in Krahes Garten auf und musste per Aufholsprint den Anschluss an das Feld suchen. Das zerrte natürlich an den Nerven, mit dem Risiko derber Aussetzer – die René während seiner Spiele prompt auch gemein und beinahe regelmäßig aus der Bahn warfen.
Beim Kansôsen der Partie René gegen Fabian zeigte sich schnell, dass René nur die beförderte Lanze auf 3b hätte ziehen müssen, um zu gewinnen. Schade, denn es wäre tatsächlich ein ziemlich cooles 11-Zügiges Matt gewesen. Foto: Fabian Krahe.
Einen Überraschungssieg durfte Jürgen Woscidlo feiern, als Uwe Frischmuth im beiderseitigen wilden Handgemenge in eine Mattfalle stolperte. Damit ging unser Schachlehrer aus Harburg mit einem dicken Achtungspunkt nach Hause, war Uwe doch als 3 Kyu der nominell zweitstärkste Spieler des Turniers.
Martin Wolff gegn Jürgen Woscidlo. Im Hintergrund Ingo Köhler gegen Fabian Krahe. Foto: Alexandra Bumagina.
Auch Martin Wolff konnte sich einen Punkt erspielen, und zwar gegen Jürgen, sodass niemand ohne Sieg das Turnier beendete. Mit jeweils einem Punkt teilten sich beide dann allerdings auch die undankbare Rote Laterne. Schlanke zwei Zähler in der Schlussbilanz bedeuteten Rang sechs für René, der nicht nur im Treffen gegen Fabian quasi frei stehend vor dem Shôgi-Tor den Ball über die Latte semmelte, sondern auch mit einem ärgerlichen Nifu bei besserer Stellung gegen Ingo Köhler patzte. Es war definitiv nicht Renés Tag. Aber so ging immerhin der fünfte Platz an unseren Spieler aus Wolfsburg. Ingo errang drei Siege und fuhr – mit seiner Leistung zufrieden – total gechillt und lächelnd zurück in die Autostadt.
Uwe Frischmuth gegen Ingo Köhler. Ingo sicherte den fünften Platz für die Autostadt Wolfsburg. Foto: Fabian Krahe.
Den vierten Platz belegte der Gastgeber und Organisator Fabian Krahe mit insgesamt vier Punkten. Er war sichtlich zufrieden. Nicht nur mit seiner Spielleistung, sondern auch mit dem reibungslosen und erfolgreichen Ablauf des Turniers.
Der Turnierorganisator Fabian Krahe (re.) traf gleich in der ersten Partie auf Uwe Frischmuth und musst direkt eine deutliche Niederlage einstecken. Da half selbst angestrengtes Nachdenken nicht mehr. Foto: Alexandra Bumagina.
Ein großer Dank geht an dieser Stelle aber auch ausdrücklich an die selbstlos engagierte Alexandra Bumagina. Die Mutter unseres 15-jährigen Supertalents Anton Borysov schoss stimmungsvolle Fotos und bereicherte den Tag durch ihre freundliche und offene Art.
Uwe Frischmuth und das Nachwuchstalent Anton Borysov holten jeweils fünf Punkte und teilten sich den zweiten respektive dritten Rang. Da aber Anton im direkten Vergleich gegen Uwe eine Niederlage einkassierte, setzte der Organisator in der Endauswertung Uwe auf Platz zwei und Holsteins Rising Star Anton auf Platz drei. Eine Entscheidung bloß für die Stringenz der Tabelle, weil ansonsten beide eine derart herausragende Leistung bewiesen haben, dass sie eigentlich Silber im Doppelpack verdient hätten.
Anton Brysov im Spiel gegen den Turniersieger Yuki Nagahori. Foto: Alexandra Bumagina.
Beim bislang letzten Hamburger Kyu-Cup 2019 musste Yuki Nagahori, der in Chiba nahe Tokio aufgewachsen ist, noch einen Punkt an Anton abgeben. Diesmal blieb der 31-jährige jedoch ungeschlagen und durfte als souveräner Sieger den Pokal mit nach Hause nehmen. Damit kam der Gewinner des historisch ersten Shôgiturniers auf Bremer Boden aus der ewigen Konkurrenzstadt an der Elbe. Aber darüber konnten sich auch die Bremer Gastgeber freuen. Denn Yuki hat hervorragend gespielt und noch wichtiger: mit viel Spaß und Freude. Und genau das ist es, was Shôgi ausmacht.
Es bleibt zu wünschen, dass das erste Bremer Shôgi-Gartenturnier sich bald wiederholen möge. Aber vielleicht kann ja – selbstverständlich unter gewissenhafter Beachtung aller behördlichen Auflagen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie – in diesem Jahr trotzdem wieder in Hamburg das Kyu-Cup-Open ausgetragen werden. Insider munkeln, dass schon intensiv über einen entsprechenden Termin im Oktober 2020 nachgedacht wird. Dem Shôgisport und seinen Fans wäre das von Herzen zu wünschen.
Momentan regieren uns kosmische Kräfte unter dem Zeichen der Ratte, nach dem chinesischen Horoskop. Eine Erkenntnis, die während der aktuellen Corona-Pandemie, deren erstes Aufflackern im Dezember 2019 aus dem chinesischen Wuhan berichtet worden ist, nicht ernsthaft für gute Laune sorgt. Zumindest in der westlichen Hemisphäre leidet die Ratte unter einem denkbar miesen Image; das ist geschuldet einer kollektiven Erinnerung an die Pest, die von 1346 bis 1353 auf dem Alten Kontinent wütete und rund 25 Millionen Opfer forderte, das war ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas. Der Schwarze Tod hatte seine Schreckensreise in Zentralasien begonnen und war von Rattenflöhen verbreitet worden.
Resultat: die verheerendste Seuche der Weltgeschichte. Und daher wäre es allen echten Freunden der großartigen Kultur aus dem Reich der Mitte deutlich lieber gewesen, der Büffel – laut Kalender erst ab dem 12. Februar 2021 das astrologische Leittier der Folgesaison – hätte sich zwischendurch bereits auf die Hinterbeine gestellt und der Ratte robust bedeutet, sie solle sich vorsorglich in eines ihrer Löcher kuscheln und uns nicht bis Ende 2020 die Laune vermiesen. Eine putzige, wenngleich natürlich völlig irreale Vorstellung, zumal zwischen Beijing und Hongkong niemand ernsthaft nachvollziehen kann, welche negativen Reflexe der suboptimal beleumundete Nager bei historisch bewanderten Langnasen auslöst.
In China nämlich genießt das besagte Tierkreiszeichen einen exzellenten Ruf. Personen, die im Jahr der Ratte geboren werden, sollen ehrenhaft und ehrlich sein, und obendrein werden die Betreffenden im Freundeskreis als großzügig in finanziellen Fragen geschätzt. Ein unzweifelhaft positives Profil, und dazu passt wiederum, dass Ratten im Tierreich als High Performer gelten. Sie sind sozial und intelligent, und außergewöhnlich gelehrige Exemplare der Gambia-Riesenratte werden mittlerweile sogar für die Minenräumung trainiert, das berichtete Sinstorfs Schachkulturbotschafter Jürgen Woscidlo per E-Mail dem Verfasser dieser Zeilen.
Außerdem teilte Norddeutschlands Mister Multi-Kulti-Chess eine weitere staunenswerte Beobachtung zum Verhalten der neugierigen und geselligen Tiere mit: „Ich hatte 1983 das Vergnügen, in einer Tagesstätte für Körperbehinderte ein Praktikum zu absolvieren. Der dort tätige Musiktherapeut Harald Melchior intonierte jeden Dienstag und Donnerstag in seinem Raum verschiedene Stücke von Beethoven und Mozart auf der Querflöte. Und regelmäßig stellten sich dann Ratten und Mäuse als Publikum ein, die still der Musik lauschten!“
In der Konsequenz ist es dringend an der Zeit gewesen, in diesen irren Tagen und Wochen, die manchen den letzten Nerv rauben und andere in raunende Verschwörungstheoretiker verwandeln, wenigstens in Bezug auf die Ratte einen symbolischen Akt der Ehrenrettung zu wagen – bevor womöglich noch total durchgeknallte Hate Speaker auf die idiotische Idee verfallen wären, nach der Pest hätten die Ratten vielleicht auch etwas mit Corona zu tun (haben sie natürlich nicht, Stupid!).
Umgesetzt wurde das ambitionierte Projekt mit einer augenzwinkernden Reverenz an eine uralte Tradition: Gottesurteile durch Zweikampf, denen wir wahlweise fasziniert und schockiert in der spannenden TV-Fantasy-Serie „Game of Thrones“ virtuell beigewohnt haben.
Selbstverständlich haben wir uns insofern für eine zivilisierte, weil weniger blutrünstige Variante entschieden: in der Form eines mentalen Duells, dem sich eine autorisierte Vertrauensperson der stolzen Nation cleverer Spürnasen stellen sollte, und zwar am Schachbrett. Auf diese Weise ist die zauberhafte Göttin Caissa um eine Entscheidung angerufen worden – damit es künftig kein Ignorant mehr wagen dürfte, den Namen der Ratte in den Dreck zu ziehen.
Die Schachgöttin Caissa auf einer Briefmarke von Paraguay.
Die schöne Caissa war konkurrenzlos kompetent für einen derart brisanten Ratschluss. Schließlich zählt sie, wie der italienische Humanist und Dichter Marcus Hieronymus Vida (1485-1566) in seinem lyrischen Epos „Scachia Ludus“ referiert hat, zur Familie der Nymphen und ist nach griechischer und römischer Mythologie eines jener weiblichen Geistwesen, die in Bäumen, Grotten oder an stillen Wassern wohnen. Um Flora und Fauna zu beschützen – und folgerichtig auch die Ratte, die ihren unverzichtbaren Part im Orchester der Natur spielt.
Was allerdings hat eine gute Fee wie Caissa eigentlich mit Schach zu tun?! Während antike Quellen dazu schweigen, imaginierte Erfolgsautor Vida – sein 1527 publiziertes „Scachia Ludus“ war ein Bestseller im 16. Jahrhundert – ein amouröses Szenario in transzendenter Dimension: Die aus den Wäldern Thrakiens stammende Caissa habe das Herz des Kriegsgottes Ares gebrochen. Schnöde ließ die elfengleiche Schönheit den flirtwilligen Schlachtenlenker abblitzen, und der Verschmähte weinte sich bitterlich beim Co-Olympier Apollon aus. Dem unsterblichen Kollegen kam plötzlich ein Geistesblitz: Apollon kreierte Schach, als fein gestrickte Liebesgabe, die der Ares seiner spröden Angebeteten darbringen sollte.
Unzählige Generationen nach der legendären Pleite des Ares bei Caissa sollte heuer nun eine veritable Partie des Millenniums – zwecks Wahrung der lädierten Reputation der Ratte – am 16. Mai 2020 im Hamburger Lokal „Rheinischer Hafen“ steigen. Im Rahmen dieses denkwürdigen Sonnabends galten die Regeln der thailändischen Schachversion Makruk, und zwar aus einem speziellen Grund, der sich am außergewöhnlichen Spirit des Events orientierte: Siams Vintage Chess ähnelt beinahe deckungsgleich dem Proto-Schach, das Chaturanga hieß und vor gut anderthalb Jahrtausenden in Indien erfunden wurde, und dürfte deswegen aus höherer Sicht quasi eine Replik des Game of Games aus der Werkstatt des Apollon repräsentieren.
Die Partei, die der Ratte die Hölle heiß machen sollte, führte frohgemut die weißen (!) Steine (Attention, Weiß gilt als Farbe der Unschuld!), und Leitwolf der Unbefleckten war Meister Weeraphon Junrasatpanich, der am 13. Juni 2015 das „PTT King Naresuan The Great Makruk Memorial“ im Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg souverän gewonnen hatte. Der Autor und Rechtsanwalt Dr. René Gralla übernahm den schwierigen Job, im Auftrag der Ratte die schwarze Seite zu verteidigen (wie es üblicherweise sonst auch zum Berufsverständnis eines Advokaten gehört), und symbolträchtig wurde die Figur des Black King gegen eine Porzellanplastik des wieseligen Kleinvierbeiners ausgetauscht.
Corona-gerecht maskiert am Start zum freundschaftlichen Rattenrennen in der Mini-Makruk-Arena der 64 Felder unter dem Banner des Königreiches Siam im Hamburger Kölsch-Lokal „Rheinischer Hafen“ : Dr. René Gralla (re.), Prozessbevollmächtigter und Spielführer der gemein und oft geschmähten Nager (eine Ratte im Miniaturformat aus dem Sortiment von „Hegrat`s Asien-Haus“ in Hamburg besetzt am rechten unteren Bildrand in der Ausgangsposition vor Matchbeginn das Feld des schwarzen Monarchen) versus Weeraphon Junrasatpanich (li.) als Kommandeur der Weißen. Foto: Chatchawan Thongmi (c) 2020.
Und so konnte das epochale Match beginnen … das nach wechselhaftem Ringen mit einem versöhnlichen Ergebnis endete: Die Gegner einigten sich – unter gewissenhafter Beachtung der regierungsamtlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung – per Jens-Spahn-Style-Ellenbogencheck auf Unentschieden.
Ein gerechtes Resultat, das an notorische Aluhutträgerinnen und -träger eine klare Botschaft sendet: Die schlaue Ratte aus dem chinesischen Horoskop hat nichts und NADA mit all` den Herausforderungen zu tun, die uns seit Beginn des Jahres 2020 beschäftigen. Das ist das Urteil der unbestechlichen Caissa.
Freuen wir uns deswegen auf den weiteren Verlauf des Jahres der Ratte: Wer die charmante Caissa an seiner Seite weiß, kann nur gewinnen!
Mattjagd mit Makruk – wer die schöne Göttin Caissa an seiner Seite weiß und ein leichtes Getränk in Händen hält, dem kann eigentlich nicht bange werden (der Autor René Gralla als Gelegenheits-Model für eine kultige Jägermeister-Kampagne in den 1970-er Jahren; das Foto wurde aufgenommen am 13. Dezember 1977 in einem Studio in Düsseldorf und veröffentlicht von der TV-Zeitschrift „Gong“ in der Programmwoche 29.9. – 5.10.1979). Reproduktion des Bildes: Bernd-Jürgen Fischer, Hamburg 2020.
Den Blog „Shôgi Hamburg“ gibt es jetzt auch analog. Das Buch mit allen Beiträgen zum Shôgi aus den Jahren 2013-2019 kann jetzt über den Buchhandel bestellt werden.
Shôgi hat in Hamburg eine interessante Entwicklung hinter sich und gezeigt, dass es ein großartiger Kulturvermittler sein kann. Mit diesem Buch wird dies dauerhaft und unabhängig vom Internet dokumentiert.
Shôgi ist die japanische Variante des Schachs. Seit 2013 besteht in Hamburg eine Gruppe von passionierten Japanschachspielern, die regelmäßig Aktionen und Turniere durchführen. Dieser Sammelband vereint Turnier- und Veranstaltungsberichte dieser Hamburger Gruppe aus den Jahren 2013 bis 2019, die auf dem Blog „Shôgi Hamburg“ erschienen sind. Dazu enthält der Band vier kurze Essays zur Geschichte und Kultur des Shôgi.
Mit Beiträgen von: Uwe Frischmuth René Gralla Fabian Krahe Jürgen Woscidlo
Fabian Krahe (Hrsg.): Shôgi Hamburg. Beiträge aus den Jahren 2013 bis 2019. Norderstedt: Books on Demand 2020. 108 Seiten. 15,00 Euro. ISBN-13: 9783751920216.
Das Buch habe ich über Books on Demand in Norderstedt veröffentlicht. D.h. es wird erst nach Bestelleingang gedruckt und die Lieferzeit beträgt dementsprechend vier bis zehn Tage. Das Buch kann direkt über den Buchshop von BoD oder über den stationären Buchhandel bestellt werden. Im BoD Buchshop können auch das Inhaltsverzeichnis und die ersten Seiten eingesehen werden. Bei anderen Internetbuchhändlern wie Amazon oder buecher.de ist das Buch ebenso erhältlich.
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