Die Galaxien erobern im lässigen Rhythmus der Slow-Bewegung: Shôgi-Spieler Konrad Dreier aus Hamburg chillt und siegt auch in fernen Sternensystemen

Wer bisher geglaubt hat, dass Matches im Shôgi echte Geduldsproben sind, der war noch nie Zaungast bei einer Session Twilight Imperium. Das Strategiespiel, in dem mehrere Teilnehmer um die Kontrolle über ein fremdes Milchstraßensystem kämpfen, verlangt von den Aktiven eine gute Kondition; ein krasser Mix aus Early Bird und Nachteule ist auf jeden Fall hilfreich. Einer der Aficionados, die gerade diese Herausforderung genießen, ist der 38-jährige Hamburger Edelfan Konrad Dreier. 3 Spass am SpielVom hauptberuflichen Controller in einer Fotofirma, der in der norddeutschen Shôgi-Szene als starker Spieler bekannt ist, lässt sich Autor René Gralla für die Entdeckung der Langsamkeit am Brett begeistern.

RENÉ GRALLA: Sitzfleisch ist offenbar angesagt im Twilight Imperium, jedenfalls gibt der Verlag für die Partien eine Mindestdauer von sechs Stunden an …

KONRAD DREIER: … und das ist in Wahrheit eine optimistische Schätzung. Nach meiner Erfahrung müssen für Matches, die relativ flott ablaufen, zwischen neun und zehn Stunden einkalkuliert werden. Aber das ist noch gar nichts gegen die längste Begegnung, an der ich teilgenommen habe: Die startete um 12 Uhr mittags und war um 3 Uhr morgens am Folgetag immer noch nicht entschieden. So dass wir das Spiel abbrachen, alle Teilnehmer waren schlicht zu müde.

R.GRALLA: Der reine Wahnsinn, solche Megabattles! Gibt es da nicht zwischendurch Hänger, wenn sich die Sache bloß noch mühsam voranschleppt?

K.DREIER: Nein. Zumal du dann, falls du gerade nicht am Zug bist, während ein anderer seine Einheiten bewegt, heftig mitfieberst und die Daumen drückst, vielleicht könnte ja der Betreffende demnächst zu deinen Verbündeten zählen. Du merkst nicht, wie die Zeit verfliegt – bis sich irgendwann der Hunger einstellt. Und bis es draußen allmählich dunkel wird.

R.GRALLA: Eigentlich soll heute alles schneller werden, das ist die Mantra, die wir aus sogenannten Denkfabriken hören. Andererseits formiert sich dagegen allmählich Widerstand, mit der Slow-Bewegung, die für Entschleunigung wirbt. Ist Twilight Imperium jetzt das passende Spiel zu diesem neuen Trend? 4 Große Schlacht (Blau vs. Gelb)K.DREIER: Menschen, die einfach mal einen Tag frei nehmen, um sich mit Gleichgesinnten zu versetzen in eine ferne Zukunft, und die glasige Augen kriegen beim Gedanken an epische Abenteuer im Weltraum, die sollten hier unbedingt zugreifen.

R.GRALLA: Dass ein Match in Twilight Imperium nicht ruck zuck entschieden ist, liegt vor allem auch am umfangreichen Regelwerk: ein Ehrfurcht einflößendes Kompendium von mehr als vierzig Seiten, gegen das der Kanon im Shôgi ein Witz ist. Wie kriege ich das drauf?

K.DREIER: Halb so wild. Werden Ihnen die wichtigsten Aktionen von einem erfahrenen Spieler erklärt, können Sie schon nach einer Stunde loslegen – und für Zweifelsfragen haben selbst Profis das Regelbuch immer griffbereit neben dem Brett liegen. Aber ich gebe zu: Als ich Twilight Imperium zum ersten Mal in einem Laden entdeckte, stellte ich das umgehend wieder zurück ins Regal. Denn ich dachte, das wäre bloß etwas für totale Nerds. Mein zweiter Anlauf startete bei einem Freund, der zeigte mir, wie Twilight Imperium funktioniert – und seitdem gehört das Spiel zu meinen persönlichen Favoriten. Schließlich ist das eine wirkliche Bereicherung für jeden, der den Wettkampf in einer anregenden Runde mit Freundinnen und Freunden liebt. Anstatt nächtelang am Computer zu zocken.

R.GRALLA: Obwohl sich das Szenario – in einer umkämpften Galaxie, nach dem Zusammenbruch der bisher dort herrschenden Ordnungsmacht – doch eigentlich auch für ein bildgewaltiges E-Game eignet.

K.DREIER: Nicht unbedingt. Ließe sich Twilight Imperium aus einer Ich-Perspektive programmieren, zum Beispiel wie der Kapitän eines Raumschiffs das Geschehen sehen würde, könnte eine digitale Version vielleicht überlegen sein. Aber Twilight Imperium ist ein strategisches Spiel, auf der Basis einer Karte, die einen Abschnitt eines fiktiven Universums widerspiegelt, und käme recht spröde rüber am Bildschirm.

R.GRALLA: Demnach ist Twilight Imperium ein schönes Beispiel dafür, dass Old School-Brettspiele im Vergleich zu modernen E-Games durchaus punkten können.

K.DREIER: Genau! Sie müssen Bündnisse schließen und mit Verrat rechnen. Ihre Gegner arbeiten mit Bestechung oder Erpressung; entsprechend wichtig sind die intensiven Kommunikationsprozesse, die am Brett ablaufen. Dieser ständige Dialog – gerne auch mit nonverbalen Mitteln, indem ich eine drohende Miene aufsetze, um die Konkurrenz von leichtsinnigen Übergriffen auf meine Zone abzuhalten – macht das Spiel zum Nonplusultra, was Spannung und strategische Tiefe betrifft. Jeder Partieablauf ist dermaßen einzigartig, dass du dich selbst Jahre später an entscheidende Wendungen erinnerst. Und das alles lebt vom direkten Kontakt Face-to-Face, der aus meiner Sicht ohnehin zu echtem Spiel gehört. Und den kein Chat via Skype während eines Multiplayer-Online-Games ersetzen kann. Das Headset ist eben bloß ein notdürftiger Ersatz dafür, deinen Kontrahenten direkt ins Gesicht zu sehen. 1 Invasion (Blau vs. Rot)R.GRALLA: Selbst wenn dir der vermeintliche Freund unvermutet in den Rücken fällt? Bündnisse können Knall auf Fall gekündigt werden!

K.DREIER: Ja klar, im Verborgenen werden gerne die Dolche gewetzt! Du musst einstecken können – und zugleich auch Spaß daran haben, deinerseits kräftig auszuteilen.

R.GRALLA: Da kommen die besten Seiten der Menschen raus …

K.DREIER: … so ungefähr! (lacht)

R.GRALLA: Und führt das nicht oft zu großem Geschrei? Und womöglich Handgreiflichkeiten?

K.DREIER: Das habe ich noch nie erlebt. Aber Unmutsbekundungen sind natürlich drin. Und Rachegelüste werden hemmungslos ausgelebt: Vor dem Wettkampf hast du jemanden für einen Netten gehalten – und plötzlich fällt er dir in den Rücken. In Twilight Imperium kannst du perfekte Charakterstudien anstellen, die eine sprichwörtliche Erkenntnis bestätigen: Auch nach vielen Gesprächen über ein ganzes Jahr verteilt lernst du einen Menschen nie so gut kennen wie nach nur einer einzigen Stunde am Spielbrett.


Neuer Imperator in der Galaxie gesucht

Von René Gralla

Die Ruinen der einstigen Hauptstadt der Galaxie, Mecatol Rex, dämmern verwaist im Zentrum des Milchstraßensystems, nach dem Zusammenbruch der Herrschaft durch die Lazax. Jetzt wollen andere Rassen, zum Beispiel die humanoide Federation of Sol oder die Barony of Letnev, sich im Machtvakuum durchsetzen. Das ist die Ausgangslage im Strategiespiel Twilight Imperium, das der US-Autor Christian T. Petersen 1997 kreiert hat.

Die drei bis acht Teilnehmer eines Matches übernehmen am Brett, das sich aus sechseckigen Feldern zusammensetzt, den Part eines der konkurrierenden Völker. Nicht allein militärische Mittel, dazu zählen Raumkreuzer und Bodentruppen, sind wichtig, sondern auch die geschickte Ausnutzung von Ressourcen sowie die Verbesserung eingesetzter Technologien.

Über den Fortgang der sechs bis zehn Runden entscheiden akribische Planung, geschickte Taktik, cleveres Verhandeln sowie, um auch dem Zufall eine Chance zu geben, Würfel und Ereigniskarten. Auf diese Weise versuchen die Gegner, nach einem abgestuften System die notwendigen Siegpunkte einzustreichen, und der erste, der zehn Zähler für sich reklamieren kann, wird zum neuen Imperator ausgerufen.

Nach vier englischsprachigen Editionen bringt der Spielverlag Asmodee im Sommer 2018 erstmalig eine deutsche Ausgabe auf den Markt.

2 Mittlere Schlacht (Lila vs. Grün)