Zwei Männer, die Shogi-Geschichte geschrieben haben

Wem haben wir es zu verdanken, dass Shogi spannender ist als jede Schachvariante? Weil wir Steine, die wir dem Gegner abgenommen haben, zur Verstärkung unserer eigenen Leute wieder einsetzen dürfen?
Vater dieser lustigen Idee soll Kaiser Go-Nara sein, wie in der Fachliteratur vermutet wird (siehe Peter Banaschak, „Schachspiele in Ostasien“, München 2001, Seite154 f., 155; Trevor Leggett, „Shogi – Japan’s Game of Strategy“, Rutland, Vermont & Tokyo, Japan 1993, page 9). Der 105. Tenno (geboren 1497; regierte von 1526 bis 1557) ließ sich dabei wohl vom Umstand inspirieren, dass ein Samurai, wenn sein Anführer während der damaligen Bürgerkriegswirren in der Schlacht gefallen war, nicht unbedingt Selbstmord begehen musste, sondern durchaus auch einfach die Front wechseln durfte.

Hat die "Drops", das heißt: Wiedereinsetzen gefangener Spielfiguren, in das Regelbuch des Shogi geschrieben: der japanische Kaiser Go-Nara
Hat die „Drops“, das heißt: Wiedereinsetzen gefangener Spielfiguren, in das Regelbuch des Shogi geschrieben: der japanische Kaiser Go-Nara

Eine Innovation, die dem Shogi bis zum heutigen Tag seine unvergleichliche Dynamik verleiht. Und die ein wenig darüber hinwegtröstet, dass besagter Kaiser im Zuge seiner Shogi-Reform, die den Fans die Möglichkeit der Drops beschert hat, zugleich die Japanschach-Armee um einen putzigen Akteur ärmer machte – weil Go-Nara den „Betrunkenen Elefanten“ für alle Zeiten aus den Sets verbannte, jedenfalls hält Peter Banaschak (in: „Schachspiele in Ostasien“, München 2001, Seite 154f., 155) diese Annahme für plausibel. Angeblich soll sich der ehrpusselige Tenno daran gestört haben, dass jenes daueralkoholisierte Rüsseltier in der Anfangsposition direkt vor der Königsfigur mehr oder minder (virtuell) torkelnd in Stellung gehen durfte.
Der Mann hatte offenbar wenig Sinn für Humor. Auch kein Komiker, aber dafür ein Mensch mit großem Herzen – jedenfalls für die Nöte und Sorgen der Spieler – war der Daimyo Tokugawa Ieyasu (1543-1616). Da der Feldherr überzeugt davon war, dass er sich nur deswegen gegen alle Konkurrenten durchgesetzt hatte, weil er Strategie und Taktik regelmäßig am Shogi-Brett übte, erhob der Einiger des Reiches sein Lieblingsspiel 1612 in den Rang eines Profisports, last not least zwecks Schulung zukünftiger militärischer Führer.
Heute haben rund 150 Frauen und Männer das Nipponschach zu ihrem Beruf gemacht, werden vom staatlich unterstützten Shogiverband bezahlt. So dass Japans großes strategisches Spiel jeden Neueinsteiger heimlich träumen lässt – nur noch die Steine setzen zu dürfen und dafür von der Nation einen (nicht gerade knapp bemessenen) Ehrensold zu beziehen.
Ein unglaubliches Versprechen, mit dem der Shogun Tokugawa Ieyasu die Ausnahmestellung des Shogi in Japan begründet hat. Die sich deutlich von der ambivalenten Rezeption des Schachsports in anderen Ländern und Kulturen unterscheidet – wo die Komplexität des Denkspiels zwar anerkannt wird, wo aber dessen Kenner und Könner trotzdem meist als eher kauzige Außenseiter belächelt werden.
Was einem Tokugawa Ieyasu nie in den Sinn gekommen wäre. Die Hamburger Pianistin Shigeko Takeya hat jetzt sein Grabmal in Nikko besucht und fotografiert, ein stimmungsvolles Bild für die Ehrengalerie des Shogi.

René Gralla

Hat aus Shogi vor 400 Jahren einen Profisport gemacht: Grabmal des Shogun Tokugawa Ieyasu in Nikko, Japan. Foto: Shigeko Takeya
Hat aus Shogi vor 400 Jahren einen Profisport gemacht: Grabmal des Shogun Tokugawa Ieyasu in Nikko, Japan. Foto: Shigeko Takeya