将棋ハンブルク – Der Blog für Japanschach und andere internationale Schachvarianten
Autor: René Gralla
René Gralla, 5-Kyu ist Schachjournalist und Rechtsanwalt in Hamburg. Sein Interesse gilt dem Schach in allen seinen Formen und Varianten und dessen Interaktion mit unterschiedlichen Kulturen.
Sie gehören zu den Frontleuten im norddeutschen Shôgi: Uwe Frischmuth, der bester Hamburger geworden ist beim „Toyotomi Hideyoshi Shôgi Memorial“ am 11. März 2017, und Jürgen Woscidlo, der viele Chess-Kids für das Japanschach begeistert hat.
Aber das genügt den beiden Boardgame Junkies schon lange nicht mehr – und als ihre neueste Leidenschaft haben sie jetzt das koreanische Schach Janggi entdeckt. So dass sich nach ersten Testmatches in der Uni-nahen Kultkneipe „Arkadasch“ unweigerlich die Frage gestellt hat, wer eigentlich im Janggi die Nr. 1 der Hansestadt ist: Uwe „FrISHIDA“ Frischmuth oder „Mr. Multi-Kulti-Chess“ Jürgen Woscidlo?
Mit Wolfgang „WolfDAN“ Reher als Schiedsrichter kam es zum gnadenlosen Meeting der Koreaschach-Giganten am 24. Mai 2017 in Hamburgs zentralem Park Planten un Blomen. Hier der Bericht von Jürgen Woscidlo.
Der Showdown – aber dieses Mal nicht am O.K.Corral!
Lange war sie erwartet worden, das finale Battle zwischen Jürgen Woscidlo und Uwe Frischmuth im Janggi, und an einem windigen Nachmittag – der Kalender zeigte Mittwoch, den 24. Mai 2017 – war es dann endlich so weit. Ort des Showdowns: die Open Air-Schachtische bei Planten un Blomen.
Nachdem leidige, aber notwendige Regelfragen ausdiskutiert und geklärt waren, zog Referee Wolfgang Reher das neutrale Brett blank. Die Kontrahenten Uwe Frischmuth und Jürgen Woscidlo bauten ihre Armeen auf, und der Fight durfte starten.
Das Treffen war angesetzt auf fünf Runden: Wem es gelingen sollte, als erster drei Siege einzufahren, würde den Wettkampf gewinnen. Und Uwe Frischmuth stieg mit einer klaren Ansage in den Ring: „Ich mach‘ dich fertig!“ Ganz klar, er wollte Rache nehmen für eine vorausgegangene Janggi-Pleite im „Arkadasch“.
Doch in der ersten Partie verfehlte „FrISHIDA“ Frischmuth die eigene Zielvorgabe deutlich, weil Jürgen Woscidlo die Auftaktrunde für sich entschied. Allerdings konterte Uwe in den beiden nachfolgenden Matches und räumte zweimal die volle Punktzahl ab. Folgerichtig sollte bereits Partie Nr. 4 die Entscheidung im vorgezogenen Tie-Break bringen … bei dem letztendlich Uwe Frischmuth die Oberhand behielt. Ein Erfolg, für den – abhängig vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters – entweder pures Glück oder eine phänomenale Leistung von Uwe den Ausschlag gab.
Akustisch untermalt wurde das muntere Brettgeschehen von ausgesucht liebenswürdigen Wortwechseln, die sich einerseits um weltpolitische und kulturelle Fragen drehten und die andererseits die Abgründe menschlichen Denkens offenbarten …
… bis schließlich unsere wackeren Nachfahren der legendären Revolverhelden Wyatt Earp, Doc Holliday und Jesse James ihre an diesem Tag leider nicht vorhandenen Pferde „sattelten“ und entsprechend bloß virtuell davon trabten. Nämlich gleich zum nächsten Duell, vor einem Café am Bahnhof Dammtor.
Verwaist blieben zurück die Schachtische von Planten un Blomen, an einem denkwürdigen Nachmittag im Mai. Und diese Schachtische werden für die Nachwelt auf immer Zeugnis ablegen von einem epischen Ringen, das zugleich einen Meilenstein markiert hat in der langen Geschichte des koreanischen Schachs: die erste Hamburger Meisterschaft im Janggi.
Für deren Gewinn übrigens post festum von Hamburgs Asienschach-Promoter René Gralla an Uwe Frischmuth der würdige Preis übergeben wurde: an den glücklichen „Janggi-Castle-Crasher 2017“ der passende „The Eltz-Stronghold-Commander-Award 2017“, und zwar in Gestalt einer Plakette, die Deutschlands berühmteste Burg Eltz zeigt – mit Blick auf das tückische Gelände der feindlichen Paläste im Janggi, wo Uwe Frischmuth alle Falltüren und versteckten Sprengfallen rechtzeitig identifizierte und trickreich umging.
Dem Vernehmen nach ist auch schon eine Folgeaktion im Koreaschach auf den Weg gebracht: ein Turnier im Herbst 2017 in Hamburg.
Jürgen Woscidlo (in Zusammenarbeit mit René Gralla)
Japan bestimmt die Nachrichtenlage in Deutschlands Norden während der ersten Frühlingswochen. Denn das Kaiserreich ist Partnerland der diesjährigen CeBIT in Hannover vom 20. bis 24. März 2017, und im Zuge dessen wird der aus Tokio angereiste Premier Shinzo Abe auch der Hansestadt Hamburg einen Besuch abstatten.
Quasi als Einstimmung darauf haben die Nippon-Fans einen besonders spannenden Beitrag, den Japan zum Weltkulturerbe geleistet hat, am 11. März 2017 mit einem speziellen Event gewürdigt: 24 Freunde der äußerst dynamischen Schachversion, die auf dem fernöstlichen Archipel entwickelt worden ist, trugen in den Räumen der Hamburger Bücherhallen das „Toyotomi Hideyoshi Shôgi Memorial 2017“ aus. Nach vier Runden setzte sich der Frankfurter Bilal Dardour, 2 Kyu, in einem internationalen Teilnehmerfeld durch; neben Spielern, die unter den Farben der Bundesrepublik antraten, gingen Titelanwärter aus den Niederlanden, Frankreich, Dänemark, Türkei und sogar Hongkong ins Rennen.
Das Turnier war neben der sportlichen Seite zugleich auch eine Verbeugung vor dem genialen Feldherrn Toyotomi Hideyoshi (1537-1598), der im 16. Jahrhundert die Grundlagen legte für die Beendigung selbstzerstörerischer Bürgerkriege, die damals das Kaiserreich zerrissen. Und da der unvergessene Daimyo, dessen Geburtstag sich am 17. März 2017 zum 480. Mal gejährt hat, zugleich auch das regionale Schach seiner Heimat nach den Berichten der Chronisten sehr schätzte, gedachte folgerichtig und stilgerecht am 81-Felder-Brett die Shôgi-Gemeinde dieser Tage ihres legendären Vorkämpfers, der vom einfachen Bauern zum allseits gefürchteten und respektierten Truppenführer aufgestiegen war.
Ein interaktiver Dialog mit Japans Geschichte, der unter besagtem Leitmotiv jetzt angeknüpft hat an die vor neun Monaten organisierte Auftaktveranstaltung der entsprechend gestarteten kleinen Eventserie in der Elbmetropole: Am 4. Juni 2016 lud die örtliche Shôgi-Community zum „Tokugawa Ieyasu Shogi Memorial 2016“ ins Asien-Afrika-Institut der Universität ein, und zwar als Reverenz an den 500. Todestag jenes Mannes, der die von seinem Vorgänger Toyotomi Hideyoshi begonnene Befriedung Japans vollenden sollte – und der außerdem, weil ebenfalls bekennender Liebhaber der Mattkunst, 1612 das Profiwesen im Shôgisport begründete.
Ein Wettbewerb im Nipponschach, um die Besucher der öffentlichen Bücherhallen neugierig zu machen auf das Thema Japan: Dieses Konzept hatte die Bibliotheksleistung davon überzeugt, ihr Haus nun eben für das „Toyotomi Hideyoshi Shôgi Memorial 2017“ zu öffnen. Und so verwandelte sich das Zentrum des Wissens, das in Sichtweite des Hamburger Hauptbahnhofes liegt, am zweiten Sonnabend im März in einen Ort, an dem die mentale Variante der fernöstlichen Martial Arts absolut fair – wofür nicht zuletzt Turnierdirektor Fabian Krahe sorgte – und in freundschaftlichem Geist, aber trotzdem auch leidenschaftlich und voller Ehrgeiz zelebriert wurde.
Mit der Folge, dass auch der eine oder andere Favorit schmerzhaft Federn lassen musste. Der Däne Thomas Heshe, 1 Kyu, der noch im Frühsommer 2016 das „Tokugawa Ieyasu Shôgi Memorial 2016“ dominiert hatte, kam beim „Toyotomi Hideyoshi“-Nachfolgeturnier über den undankbaren 4. Platz nicht hinaus. Und der niederländische Topfavorit Lex van der Lubbe, 1 Dan, landete überraschend auf dem 6. Platz.
Dagegen schlug das Team Düsseldorf gleich zweimal zu: Julian Baldus, 5 Kyu, kämpfte sich vor auf den geteilten zweiten Platz (gleichauf mit Hongkongs Vertreter Chung Man Chan, 3 Kyu), und Michaela Baumgarth, 8 Kyu, gewann die Damenkonkurrenz. Volker Hildebrand setzte sich als Sieger der 2. McMahon-Gruppe durch. Jürgen Woscidlo als Sieger der 3. McMahon-Gruppe.
Und noch jemand durfte kräftig jubeln: der 15-jährige Niels Meinköhn, 17 Kyu, hängte die übrigen Jugendspieler ab und bewies, dass sein vergleichbarer Erfolg vor einem Dreivierteljahr nach dem Zieleinlauf des „Tokugawa Ieyasu Memorials 2016“ (Bester der U-18-Wertung) kein One-Day-Wonder gewesen war. Dem Shôgi-Daimyo Toyotomi Hideyoshi, virtueller Patron des 2017-er Memorials in seinem Namen, hätte das gewiss gefallen. Kerem Kuruca als absoluter Neuling, er erlernte die Regel erst vor einigen Wochen, schlug sich tapfer, aber belegte den letzten Platz. Uwe Frischmuth wurde mit einem zehnten Platz bester Hamburger Spieler.
Da haben wir Hamburger noch einige Shôgi-Lektionen aufzuholen. Schließlich hätte es für eine derart schlappe Performance vom Shôgi-Daimyo Toyotomi Hideyoshi beim Morgenappell garantiert einen gewaltigen Anschiss gegeben.
René Gralla und Fabian Krahe
Toyotomi Hideyoshi Shôgi Memorial 2017, Germany : 2017-03-11
Nr
Name
Nat
Grade
ELO
1
2
3
4
Pts
+/-
1
Dardour
Bilal
DE
2 Kyu
1599
6+
2+
5+
3-
5
+16
2
Chan
Chung Man
HK
3 Kyu
1390
4+
1-
11+
5+
5
+79
3
Baldus
Julian
DE
5 Kyu
1267
9+
5-
7+
1+
5
+100
4
Heshe
Thomas
DK
1 Kyu
1737
2-
17+
8+
6+
5
-4
5
Höhne
Ritchy
NL
3 Kyu
1452
7+
3+
1-
2-
4
+7
6
van der Lubbe
Lex
NL
1 Dan
1748
1-
15+
12+
4-
4
-26
7
Faber
Sébastien
FR
3 Kyu
1442
5-
10+
3-
12+
4
-14
8
Hildebrand
Volker
DE
1019
14+
13+
4-
16+
4
+71
9
Höhne
Michael
NL
6 Kyu
1224
3-
12-
17+
10+
4
+11
10
Frischmuth
Uwe
DE
7 Kyu
1131
11+
7-
13+
9-
3
+30
11
Krahe
Fabian
DE
7 Kyu
1175
10-
14+
2-
19+
3
+3
12
Dreier
Konrad
DE
8 Kyu
1076
23+
9+
6-
7-
3
+41
13
Köhler
Ingo
DE
6 Kyu
1219
17-
8-
10-
20+
3
-41
14
Baumgarth
Michaela
DE
8 Kyu
1046
8-
11-
22+
18+
3
+12
15
Müller
Jens
DE
8 Kyu
1090
18+
6-
20-
17+
3
+24
16
Woscidlo
Jürgen
DE
921*
24+
21+
18+
8-
3
17
Gralla
René
DE
6 Kyu
1225
13+
4-
9-
15-
2
-14
18
Grandmarre
Antoine
FR
7 Kyu
1125
15-
19+
16-
14-
2
-44
19
Meinköhn
Niels
DE
416
22+
18-
21+
11-
2
+114
20
Pizarro Silva
Loreto
NL
17 Kyu
476
21-
24+
15+
13-
2
+185
21
Müller
Markus
DE
13 Kyu
698
20+
16-
19-
23+
2
+12
22
Meinköhn
Ian
DE
16 Kyu
462
19-
23+
14-
24+
2
+47
23
Müller
Rolf
DE
15 Kyu
501
12-
22-
24+
21-
1
+10
24
Kuruca
Kerem
TR
1*
16-
20-
23-
22-
0
Promoting Baldus Julian to 4 Kyu
Promoting Hildebrand Volker to 9 Kyu
Promoting Krahe Fabian to 6 Kyu
Promoting Dreier Konrad to 7 Kyu
Promoting Müller Jens to 7 Kyu
Promoting Meinköhn Niels to 16 Kyu
Promoting Pizarro Silva Loreto to 14 Kyu
Promoting Müller Markus to 12 Kyu
Promoting Meinköhn Ian to 15 Kyu
11. März 2017 in Hamburg
Die Hamburger Shôgi-Spieler laden mit freundlicher Unterstützung der Hamburger Zentralbibliothek zum Toyotomi Hideyoshi Shôgi Memorial 2017
Ort und Zeitplan
Zentralbibliothek
Hühnerposten 1 (Eingang: Arno-Schmidt-Platz), 20097 Hamburg
in Gruppenraum 2.2 (Ebene 2, gegenüber der Sachgruppe F ‚Soziologie‘
5 Gehminuten vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt
Registrierung
11:00 – 11:20 Uhr
Auslosung
11:20 – 11:30 Uhr
Begrüßung und Eröffnungsworte
11:30 – 11:45 Uhr
Runde 1
11:45 – 13:15 Uhr
Mittagspause
13:15 – 13:45 Uhr
Runde 2
13:45 – 15:15 Uhr
Runde 3
15:15 – 16:45 Uhr
Runde 4
16:45 – 18:15 Uhr
Siegerehrung
18:30 Uhr
Hinweis: Die Zentralbibliothek öffnet erst um 11:00 Uhr. Vorher gibt es keinen Einlass.
Startgeld
Es wird kein Startgeld erhoben
Spielmodus/-zeit
– Offenes Turnier, vier Runden in zwei oder mehr Mac-Mahon-Gruppen
– 30 Minuten pro Spieler, plus 30 Sekunden Byoyomi
– Weitere Regeln, Haftungs- und Urheberrechte siehe Anhang (PDF-Dokument: Teilnahmebedingungen Toyotomi Hideyoshi Shôgi Memorial 2017)
Anmeldung
Zur besseren Planung bitte frühzeitig voranmelden, per Email an renegralla@gmx.net.
Bei der Anmeldung bitte angeben: Name, Vorname, Nationalität und falls vorhanden Elo-Zahl und Kyu-/Dan-Grad. Bei Kindern/Jugendlichen bitte auch das Geburtsjahr angeben. Danke.
Schiedsgericht
Dieses Turnier wird ausgewertet für die Rangliste der FESA.
Das Schiedsgericht wird noch bestimmt.
Spielmaterial
Die Turnierleitung stellt ausreichend Spielmaterial zur Verfügung. Es ist aber für alle Beteiligten von Vorteil, eigenes Spielmaterial mitzubringen, um Überraschungen durch eventuell erhöhte Teilnehmerzahlen zu vermeiden.
Verpflegung
Verschiedene Lokalitäten sind fußläufig (5 Min.) erreichbar.
Weitere Hinweise
Die Veranstalter freuen sich über jeden (leisen) Publikumsverkehr und gehen davon aus, dass alle Mitspieler sicher auch nichts dagegen einzuwenden haben.
Bei der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten und touristischen Wünschen Hamburg betreffend sind wir gerne behilflich.
Wir freuen uns auf Euer Kommen und Eure Aufmerksamkeit
Dr. René Gralla
Fabian Krahe
(Turnierleitung und Organisation)
Außerhalb Asiens dürfte es dafür wenig Konkurrenz geben: An der Hamburger Schule Grumbrechtstraße bringt Jürgen Woscidlo seinen Schachschülern neben Shôgi auch andere Versionen des Königlichen Spiels bei – und darunter eben auch das koreanische Janggi.
Das wiederum haben die Newsmacher vom südkoreanischen Auslands-TV-Sender Uri News – der seine Zentrale in Frankfurt/Main hat – derart ungewöhnlich gefunden, dass sie darüber ein Feature produziert und gesendet haben.
Hier der muntere Beitrag auf Youtube, der, obwohl in koreanischer Sprache ausgestrahlt, im Ergebnis self-explanatory ist … und in dem unter anderem auch Hamburgs Shôgi-Promoter René Gralla zu Wort kommt, um ein von ihm gebasteltes Janggi-Set mit 3D-Figuren-Szenario vorzustellen:
Der Mann war Jurist und Rebell. Und obendrein verblüffte er die Zeitgenossen gerne am Spielbrett: Sa’id ibn Jubair demütigte oft erst frohgemute und alsbald tief verzweifelte Herausforderer reihenweise mit eleganten Attacken und fiesen Tricks, die er ohne Ansicht des jeweiligen Matchgeschehens plante und fehlerfrei exekutierte. Indem er konsternierten Gegnern und wechselnden Figurenarrangements auf Tischen, die geschäftstüchtige Impresarios eilfertig bereitstellten, nonchalant und selbstgewiss den Rücken zukehrte.
Die sensationellen Stunts machten den mental derart präsenten Rechtsgelehrten vor gut dreizehn Jahrhunderten zum ersten Athleten des Denksports, der Partien quasi „blind“ ausfechten und gewinnen konnte. Und das war Grund genug für eine Gruppe Enthusiasten aus Deutschlands boomender Port City an der Elbe – allen voran Schachlehrer Jürgen Woscidlo sowie ChessBase-Autor und Rechtsanwalt René Gralla – , dieser Tage den 665 wahrscheinlich in Äthiopien geborenen Meister (der nach manchen Quellen später unter anderem im Raum Mekka aktiv war) posthum zu ehren und ihm einen Platz zu reservieren in der Hall of Fame des Spiels der Spiele: mit einem „Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial“ am 22. Oktober 2016 im Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg.
Der historische Wettkampf, großzügig unterstützt von der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft (DTG) und dem Tunesischen Konsulat in der Elbmetropole, gehörte zu einem der ersten Höhepunkte der diesjährigen Arabischen Kulturwochen: eine mehrfach preisgekrönte Veranstaltungsreihe, die sich unter Federführung ihres Initiators Dr. Mohammed Khalifa als fester Bestandteil im herbstlichen Eventkalender der Hansestädte Bremen und Hamburg etabliert hat. Und es kam nicht von ungefähr, dass die Lebensleistung des Sa’id ibn Jubair exakt 1302 Sommer nach brutalem Finale – wegen angeblichen Hochverrats musste der gefallene Held den Gang auf’s Schafott antreten – nun endlich gewürdigt wurde, und zwar ausgerechnet in der kompetitiven Form eines Turniers.
Schließlich zählte der legendäre Champ zu den frühen Superstars in einer bestimmten Variante des Denksports, die „Shatranj“ hieß und nichts weniger war als die Originalausgabe des heute rund um den Globus beliebten Schachspiels. Denn nachdem unbekannte Tüftler wohl Mitte des fünften Jahrhunderts auf dem indischen Subkontinent das Szenario eines simulierten Zusammenpralls zweier Heere samt notwendigem Regelwerk kreiert hatten, segelte jenes „Chaturanga“ an Bord tamilischer Handelsschiffe ostwärts, landete auf Java – das damals zum hinduistisch geprägten Königreich Srivijaya gehörte – und wanderte im Gepäck von Kaufleuten und Reisenden über die Malaiische Halbinsel gen Norden.
Bis in die Gegenwart wird Indiens Protoschach in minimal modifizierter Form leidenschaftlich gezockt in Südostasien: Die Communities in Thailand und Kambodscha bleiben mehrheitlich ihren Chaturanga-basierten Games „Makruk“ respektive „Ouk Chatrang“ treu, während Mainstream Chess approved by FIDE höchstens in elitären Kreisen goutiert wird.
Fröhliche Urständ feiert Kambodschas „Ouk Chatrang“, ein naher Verwandter des arabischen „Shatranj“ aka altindisches „Chaturanga“ im Khmer-Style, an den unwahrscheinlichsten Plätzen im Universum … so jüngst unter norddeutschem Himmel in der rauen Provinz am Rand der Lüneburger Heide: In Sinstorf trafen sich ChessBase-Autor René Gralla (li.) und Jürgen Woscidlo (re.) zu einem Showcase-Game.
Parallel dazu erreichte Chaturanga in westlicher Gegenrichtung über Persien den arabischen Herrschaftsbereich und fand unter dem abgeänderten Namen „Shatranj“ rasch glühende Anhänger. Eine Popularität, die nicht auf die muslimische Hemisphäre beschränkt blieb, sondern sukzessive auszustrahlen begann auch auf das christliche Abendland.
Worin aber unterschied sich das besagte Shatranj vom aktuellen Standardschach, in dem Posterboys der digitalen Ära reüssieren wie ein Magnus Carlsen? Die indo-arabischen Shatranj-Könige mussten in der 64-Felder-Arena nicht kuschen vor dominanten Damen, sondern durften zum Ausgleich schwächliche Hofschranzen – sprich: Wesire – mobben. Und statt raumgreifender Läufer forderten robuste Elefanten den ihnen gebührenden Respekt ein.
Von Bagdad bis Rom, vom maurischen Granada bis nach Worms im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation: Mehr als 800 Jahre war Shatranj die quasi amtliche Schachversion überall dort, wo helle Köpfe die Kunst der Mattführung pflegten (sieht man von den Sonderfällen China und Japan und deren Eigengewächsen „Xiangqi“ und „Shogi“ ab). Ein unschätzbar wichtiger Beitrag der arabischen Welt zum Kulturerbe der Menschheit – der freilich zwischenzeitig leider in Vergessenheit geriet: die Konsequenz einer Revision des Spiels, die Ende des 15. Jahrhunderts von spanischen und italienischen Profis vorangetrieben wurde und Elefanten samt Wesiren schnöde austauschte gegen Läufer plus Damen.
Das moderne Schach war geboren, und bald wusste außerhalb der Wissenschaftszirkel niemand mehr, dass eine veritable Shatranj-Welle einst im Bagdad der Kalifen quer durch alle Bevölkerungsschichten die Fans inspiriert hatte. Großmeister, die „Aliyat“, trugen umjubelte Zweikämpfe aus, und berühmte Autoren vom Schlage eines al-Adli, ar-Razi und as-Suli veröffentlichten im 9. und 10. Jahrhundert epochale Lehrbücher.
Den Schatz des versunkenen Shatranj heben: ein Vorhaben, das leicht größenwahnsinnig anmutet. Und für das nichtsdestoweniger das Zweiergespann Jürgen Woscidlo und René Gralla hartnäckig trommelt, mit dem Probelauf eines Jugendturniers am 20. November 2015 in den Räumen der Hamburg-Heimfelder Grundschule Grumbrechtstraße (ChessBase war vor Ort: http://de.chessbase.com/post/schach-mit-elefanten).
Sichtlich zufrieden über die Anschlussveranstaltung „Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016“ zeigte sich deswegen René Gralla vom Organisationsteam in seiner Begrüßungsrede: Hier werde „ein Stück Kultur- und Sportgeschichte geschrieben“. Und der Journalist erinnerte in diesem Zusammenhang an erste Pläne vor gut 100 Jahren, das Shatranj aus der Versenkung zu holen: In der einschlägigen Disziplin sponserten nämlich die renommierten Fachmagazine „Deutsches Wochenschach“ und „Berliner Schachzeitung“ 1913 ein Korrespondenzturnier, das erst 1915 in den Wirren des Ersten Weltkriegs versandete.
Unter dem nachfolgenden Link zwei Partien des Shatranj-Fernturniers von 1913 bis 1915 zum Nachspielen – einer der Favoriten war Walther Freiherr von Holzhausen – ; plus weitere Gehversuche im klassischen Arabischen Schach, die im 20. Jahrhundert dokumentiert worden sind:
Außerdem sei ein Relaunch des Shatranj überfällig, meinte René Gralla: „In Thailand und Kambodscha gehören Makruk beziehungsweise Ouk Chatrang – die sich eng anlehnen an das indische Chaturanga und das arabische Shatranj – zum Kanon der Volkssportarten. Da sollte es Ehrensache sein, The Real Thing auf den Weg zu bringen: das echte Shatranj!“
Ausdrücklich dankte René Gralla der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft und deren Repräsentantin Gabriele Kamensky für wertvollen Support: „Die Freundschaft zwischen Deutschland und Tunesien hat eine lange Tradition. Und jetzt ist die Tunesische Republik ein leuchtendes Vorbild – wie die demokratischen Errungenschaften des Arabischen Frühlings auch in Zukunft bewahrt werden.“ Insofern sei es „voller Symbolkraft, dass Tunesien, wo Tradition und Glaube an den Fortschritt eine glückliche Symbiose eingehen, den entscheidenden Anstoß gibt für eine Renaissance des Shatranj aus Tausendundeiner Nacht!“
Ein Gedanke, den Tunesiens Konsulin Sonia Ben Amor in ihrem Grußwort aufnahm und versprach, auch zukünftig das Projekt zu begleiten. Anschließend sagte Fabian Krahe, der am Rechner die Paarungen zusammenstellte, die Begegnungen der ersten Runde an. Der Startschuss für flotte Manöver – dazu zwang das straffe Zeitbudget, sparsame 15 Minuten pro Kandidat und Partie – und schonungslose Balgereien zwischen Elefanten und Wesiren.
Die entsprechenden Sonderfiguren stammten aus den Heimwerkstätten der Shatranj-Aficionados Jürgen Woscidlo und René Gralla. Das war Schach mit bunten Hinguckern: Neben dem Shatranj-Wettkampf zog ein „Tunesischer Tag“ im Asien-Afrika-Institut die Besucher an, und viele nutzten die unverhoffte Gelegenheit, in den Pausen ungewohnte Turnierluft zu schnuppern. Und spontan an freien Brettern die Figuren zu schieben.
Beim Spiel über arabische Kultur und Geschichte lernen: das Leitmotiv des Shatranj-Turniers, und Teilnehmerin Asia Haidar fand das „wunderschön“. Die examinierte Geografin war wegen des Bürgerkrieges aus dem syrischen Aleppo geflüchtet und hätte „nie erwartet, in Deutschland plötzlich klassisches Shatranj zu spielen!“
Hoch motiviert ging die 25-jährige ins Rennen, kombinierte die Konkurrenz in Grund und Boden – und überquerte als beste Frau die Ziellinie. Verdienten Sonderapplaus kriegte der Gitarrenlehrer Ferdinand Feil aus Hamburg, der Flamenco-Musiker schnappte sich den Newcomer-Preis. Während der erst neunjährige Manish Srinath die anderen Kids abhängte und Nummer Eins der Jugendlichen wurde.
Ein Trio landete punktgleich an der Spitze, und bloß minimale Abweichungen in der Wertung gaben den Ausschlag für die Rangverteilung. Physikstudent Julian Zeyn aus Winsen/Luhe musste dem Zweitplatzierten Hamburger Go- und Shogi-Spezialisten Martin Wolff knapp den Vortritt lassen, während letzteren ein kaum messbarer Abstand – der Luftzug eines Wimpernschlages hätte sich im Vergleich wie ein Orkan angefühlt – vom Sieger trennte. Der zu seiner eigenen Überraschung (und ein bisschen peinlich berührt) den dicksten Pott nach Hause tragen durfte: ein Ergebnis, das René Gralla vom Turnierkomitee für sich weder erwartet noch erhofft hatte.
Manchmal spinnen die eben, die vorgeblich unfehlbaren Computer. Egal, auch im Shatranj gilt eine Fußballerweisheit: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und das zweite „Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial“ ist für 2017 bereits angekündigt, Arabische Kulturwochen-Mastermind Dr. Mohammed Khalifa hat das während der Verabschiedung den Turnierteilnehmern fest versprochen.
Außerdem will Tunesiens Konsulin Sonia Ben Amor beim Schachverband ihres Heimatlandes für ein Shatranj-Turnier unter Palmen werben, vielleicht in einem beliebten Urlaubsort.
Das Abenteuer hat gerade erst begonnen: Shatranj, das Schach aus Tausendundeiner Nacht, bringt uns heftig zum Träumen.
Merci, Tunesien, shukran!
Sa’id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016 – Endergebnistabelle