Schach und Shôgi im Film

Von Fabian Krahe

Schach spielt in Literatur und Film immer Mal wieder eine prominente Rolle. Und bevor ich einen kleinen Blick nach Japan werfe, möchte ich erstmal Schach im westlichen Kulturraum betrachten Das bekannteste Beispiel ist im deutschsprachigen Raum sicherlich Stefan Zweigs „Schachnovelle“, in der Zweig Schach als Metapher für den Kampf zwischen dem europäischen Kulturmenschen und dem Nationalsozialismus benutzte. Die Erzählung entstand zwischen 1938 und 1941 im Exil, in das der Pazifist 1934 aus Österreich vor den Austrofaschisten flüchtete. Dem Symbolismus der Geschichte opferte Zweig allerdings die Realität des Schachspiels, von dem er ohnehin kaum eine Ahnung hatte, so dass sich zusätzlich noch einige sachliche Fehler einschlichen. Dass so das Schachspiel auch wenig gut wegkommt, mag wenig verwundern. Siehe auch: Johannes Fischer: Ein symbolischer Rückzug. Kritische Anmerkungen zu Stefan Zweig, in: Karl Online. 20.04.2002.https://karlonline.org/kol03. 1960 verfilmte Gerd Oswald den Stoff mit Curd Jürgens und Mario Adorf in den Hauptrollen fürs deutsche Kino.

Auf die große Leinwand kam das Schach allerdings schon 1925 in Russland mit dem Film „Шахматная горячка“ (Schachfieber), der die große russische Schachbegeisterung der zwanziger Jahre satirisch kommentierte.

Der Film inspirierte auch Vladimir Nabokov zu seinem bekannten Roman „Защита Лужина“ (Lushins Verteidigung), in dem der Protagonist, dem Schach verfallen, sich am Ende (womöglich) das Leben nimmt, in dem er aus dem Badefenster springt. Marleen Gorris verfilmte den Roman schließlich 2000 mit John Turturro und Emily Watson in den Hauptrollen.

2014 wurde das Biopic “Pawn Sacrifice” (Bauernopfer – Spiel der Könige) von Edward Zick mit Tobey Maguire als Bobby Fischer zwar von Kritikern durchaus wohlwollend aufgenommen, war jedoch mit einem Einspielergebnis von 5,6 Millionen eine Box Office Bomb. Der Film schildert das Leben des großen amerikanischen Schachspielers Bobby Fischer und lässt die Handlung im „Match des Jahrhunderts“ zwischen Fischer und Boris Spasski kulminieren. Wie schon in Zweigs „Schachnovelle“ weißt das Schach hier weit über sich hinaus, wird das Spiel zum Kampf der Systeme. Fischer und Spasski sind bloß Bauern im Wettstreit von Kapitalismus und Kommunismus; die Könige sind Nixon und Breschnew.

Es ist bemerkenswert, dass in allen diesen Filmen – und es lassen sich leicht noch weitere Beispiele anführen – Schach als Obsession, gar als eine Art von Wahn dargestellt wird. Die Protagonisten sind ihm verfallen und immer fordert er, der Schachwahn, seinen psychischen, zuweilen auch physischen Tribut. Selbst in „2001 – A Space Odyssey“ nutzte der schachbegeisterte Stanley Kubrick das königliche Spiel, um zu zeigen, dass die KI HAL 9000 langsam ihren Verstand(?) verliert.

Anders ist es oft, wenn Schach der Charakterisierung einer Person dient und nicht das Hauptthema eines Filmes ausmacht. Schach dient dann oft dazu die Intelligenz, Intellektualität oder die Willensstärke eines Protagonisten herauszustreichen. Sei es in Harry Potter und der Stein der Weisen, Independence Day oder X-Men.



Und last but not least konnten wir die Erotik des königlichen Spiels in Filmen wie „The Thomas Crown Affair“ (Die Thomas Crown Affäre) von 1968 oder „Joueuse“ (Die Schachspielerin) von 2009 erleben.


So wie das Schach im westlichen Kulturraum, spielt Shôgi in Japan im Film eine ähnliche Rolle. Die japanische Wikipedia listet tatsächlich neun Filme zum Thema Shôgi auf.
Das erste Mal ist mir Shôgi in dem Film „聯合艦隊司令長官 山本五十六 -太平洋戦争70年目の真実-„ (Titel in Deutschland: Der Admiral. Krieg im Pazifik) von 2011 begegnet, denn keiner der in der Wikipedia aufgelisteten Filme wurde bisher in Deutschland veröffentlicht, abgesehen von einmaligen Aufführungen bei Filmfestivals. Der Film „Der Admiral“ zeigt die Rolle Yamamoto Isorokus (1884-1943) während des Pazifikkriegs. Isoroku entstammte einer Samurai-Familie, die im Boshin-Krieg auf Seiten des Shôgunats kämpfte. Ab 1901 begann er eine Karriere in der Marine. Von Anfang an stach er aufgrund seiner hervorragenden Leistungen hervor. Durch sie wurde er auch in den Yamamoto-Clan adoptiert und legte daher 1915 seinen bisherigen Familiennamen Takano ab. Yamamoto stieg rasch auf. 1939 übernahm er schließlich den Befehl über die Kombinierte Flotte und war maßgeblich an der Planung des Angriffs auf Pearl Habor beteiligt. 1943 wurde sein Flugzeug von amerikanischen Fliegern abgeschossen und er nahm sich noch in der Luft das Leben.
Yamamoto hatte seit seiner Jugend ein starkes Interesse am Shôgi. Dies hielt sich auch noch während er den Oberbefehl über die Kombinierte Flotte innehatte. Es heißt, er habe abends ab acht Uhr oft mehrere Stunden Shôgi gespielt. Tatsächlich ist überliefert, wie er selbst während der Schlacht von Midway, als die Nachricht hereinkam, dass die drei Flugzeugträger Akagi, Kaga und Sôryû bombardiert wurden, Shôgi spielte. Vgl. seinen japanischen Wikipediaeintrag.

Leider habe ich auf YouTube keinen Zusammenschnitt mit den Shôgiszenen finden können. Aber auch der Film „軍神山本元帥と連合艦隊“ (Gunshin Yamamoto gensui to rengô kantai) aus dem Jahr 1956 hat eine längere Szene, die Yamamoto beim Shôgispielen zeigt. Nicht dass der Film gut wäre, aber immerhin hat irgendwer den bei YouTube eingestellt. Die japanische Wikipedia listet insgesamt neun Filme und ein Fernsehdrama über Yamamoto auf, inwiefern dort Shôgi gezeigt wird, konnte ich leider nicht herausfinden.

Auch in Kitano Takeshis (北野武) Yakuzafilm „Brother“ aus dem Jahr 2000 ist Shôgi in zwei Szenen zu sehen. Einmal dient Shôgi zur Gestaltung einer Szene in Form eine Deko-in-Motion, in der der Protagonist Yamamoto Aniki, gespielt von Kitano, eine Partie gegen einen seiner Mitstreiter spielt. Ein weiteres Mal spielt Shôgi auch eine kleinen dramaturgischen und Black-Humor-mäßgen Part in einer recht makabren Szene: Aniki bestraft einen Dealer, der ihn betrügen wollte, auf die Weise, dass er dem Mann Shôgi-Steine in den Mund stopft – und dann zuschlägt, gezielt auf den Mund, so dass der Getroffene reflexartig die Zähne zusammenbeiß … und wir sehen sofort das Resultat: der Bestrafte spuckt Blut und Zähne und Shôgisteine. Dass Takeshi Kitano ausgerechnet Shôgi in den Film eingebaut hat, hat einen guten Grund. Takeshi Kitano ist selber totaler Shôgifan, wie deutlich geworden ist in einem Interview, das er mit René Gralla anlässlich des Starts von „Zatoichi“ 2004 in Hamburg im Hotel „Atlantic“ geführt hat. In diesem Interview hat er nämlich am Ende, als René ihn auf Shôgi angesprochen hat, den Verlauf einer Vorgabepartie erklärt, die er gegen Habu im Fernsehen bestritten habe. Ohne Brett und Steine erklärte er René, wie ihm Habu zunächst ein komplettes Anaguma-Castle als Vorgabe in der Partie gewährt habe und wie Habu dieses Anaguma in kürzester Zeit zertrümmert habe.

Aber es gibt auch einige japanische Filme in denen das Shôgithema bestimmend ist. Das erste Mal bereits 1948 mit der Verfilmung von „王将“ (Ôsho) durch Itô Daisuke (伊藤大輔). Ôsho ist ein Theaterstück von Hôjô Hideji (北条秀司), dass am 04.06.1947 in Ôsaka uraufgeführt wurde. Es schildert die Geschichte des berühmten Ôsakaer Shôgispielers Sakata Sankichi (阪田三吉; 1870-1946). Das Stück ist nochmals 1955 und 1962 verfilmt worden. Der Film von 1962 erhielt ein Jahr später noch eine Fortsetzung. Zuletzt erschien 1973 ein Fernsehfilm, von dem ich einen Ausschnitt auf YouTube finden konnte. Der Ausschnitt ist übrigens mit einem der berühmtesten Aussprüche Sakatas betitelt: „銀が泣いている“ (Der Silber weint). 1913 spielte Sakata eine berühmte Partie gegen Sekine Kanjiro. Sakata bot Sekine ein Silberopfer an, welches Sekine jedoch durchschaute. Der Silber schrie also laut: „Nimm mich, nimm mich“, doch weil Sekine in eben nicht nahm, sagt man, „der Silber weint“. Ob Sakata wirklich wie im Film geweint hat? Vgl. 伝説の棋士・阪田三吉の名言「銀が泣いている」に込められた想いとは?

1991 erschien der Film “王手” von Sakamoto Junji (阪本順治) in den japanischen Kinos. Er schildert das Leben von Tobita Ayumi (飛田歩), einem Shinkenshi und Kayama Ryuzo (香山龍三), einem professionellen Shôgispieler. Ein Shinkenshi ist jemand, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, Shôgi um Geld zu spielen. Das der Film im ärmlichen Osakaer Stadtviertel Shinsekai spielt, ist da schon recht passend.

Durchaus auch ein wenig internationale Aufmerksamkeit hat „聖の青春“ (Satoshi: A Move for Tomorrow) erregt. Eine Verfilmung des gleichnamigen Buches aus dem Jahr 2016. Der Film folgt dem Leben des professionellen Shôgispielers Murayama Satoshi (村山聖; 1969-1998). Murayama erkrankte als Kind am nephrotischen Syndrom, was sich fortan auf seine Gesundheit auswirkte. Er musste so als Kind viel Zeit im Krankenhaus verbringen, wo er Shôgi spielte. 1994 entschied er sich nach Tôkyô zu gehen, um Meijin zu werden. Er konnte den Titel erspielen, erkrankte jedoch an Blasenkrebs. Statt sich behandeln zu lassen, spielte er weiter Shôgi und verstarb so bereits im Alter von 29 Jahren. Ein Besprechung des Film z.B. hier.


Ein anderes Biopic über einen Shôgispieler ist “泣き虫しょったんの奇跡“ (The Miracle of Crybaby Shottan) von Toyoda Toshiaki (豊田利晃). Der Film zeigt wie Segawa Shôji (瀬川晶司; *1970) professioneller Shôgispieler wurde. Segawa besuchte die Shôreikai, er erreichte zwar den dritten Dan, jedoch nicht den vierten Dan bis zum Alter von 26 Jahren. Er musste also die Schule verlassen, was bedeutete, dass er keine normale Möglichkeit mehr hatte ein professioneller Spieler zu werden. Segawa spielte weiterhin als Amateur und konnte sich so für einige Profi-Turniere qualifizieren. Er stellte dabei den Rekord von 17 Siegen zu 7 Niederlagen gegen Profispieler auf. Daraufhin bat er den Nihon Shôgi Renmei ihm eine außerordentliche Möglichkeit zur Qualifikation als Profispieler zu gewähren, was ihm tatsächlich 2005 erlaubt wurde. Er musste dazu sechs Spiele gegen unterschiedlich Profispieler spielen und davon drei gewinnen. Da ihm dies tatsächlich gelang, wurde er der erste Shôgispieler in 61 Jahren, der den professionellen Status durch Testspiele erhielt. Mittlerweile hält Segawa den 6 Dan.


2017 erschien die 2-teilige Live-Action Adaption des Erfolgsmangas „3月のライオン“ in den japanischen Kinos. Die Mangareihe erscheint seit 2007 im Magazin Young Animal und umfasst derzeit 14 Tankôbon Bände. Protagonist des Films ist Kiriyama Rei, ein 17-jähriger Profspieler, dessen Familie bei einem Autounfall ums Leben kam, als er noch klein war. Der Film erzählt von seinen Problemen mit seiner Adoptivfamilie, seinen Freunden und dem täglichen Leben als Profispieler.

Und zuletzt habe ich noch diesen wunderbaren Kurzfilm über Karolina Styczyńska gefunden. Styczyńska erreichte als erste nicht-Japanerin im Jahr 2017 den Status als professionelle Shôgispielerin. Styczyńskas Blog in Englisch.

Wir sehen also, dass Shôgi im japanischen Kino eine andere Darstellung widerfährt, als das Schach. Im Mittelpunkt steht eher das alltägliche Leben der Spieler und ihre Probleme. Wir finden zwar auch hier die Verbindung zur Obsession, jedoch kaum zum Wahn, wie öfters beim Schach im westlichen Film.